Oberalp geht immer – der Titel sagt eigentlich schon alles: Wie so oft in den letzten Jahren soll auch bei dieser Schweiz-Tour ein Tag an einem der schönsten und jahreszeitlich vielseitigsten schmalspurigen Alpenpässe verbracht werden. Von Sedrun geht es hinüber bis Andermatt und anschließend wieder zurück bis Disentis. Ein Hauptdarsteller ist dabei wie schon gestern der mit einem Deh 4/4 geführte kurze Glacier-Express.
Mittwoch, 4. Oktober 2023
Nach dem Hobbit-Bett in Täsch war es endlich wieder eine richtig erholsame Nacht gewesen hier in Sedrun. Wie von Meteo prophezeit, ließ das Wetter vor dem Fenster noch nicht unmittelbar den größten Tatendrang erwachsen. Aber wenn es mit dem durchziehenden Tief so punktgenau recht hatte, dann trauten wir Meteo auch einfach mal in der Angelegenheit, dass es sich gegen Mittag bereits großflächig auftun sollte. Da wir beim 18 CHF-Frühstück gegeizt hatten, mussten wir nun erstmal selbst auf die Jagd gehen. Pünktlich zur Ladenöffnung wurden wir daher im örtlichen Coop vorstellig und deckten uns gleich mal für den Tag mit Brötchen, Obst, Joghurt und Trinkbarem ein. Am frischen Kaffee scheiterte es hier allerdings und auch im Ort war nach einigen Versuchen nichts zu bekommen. Was von außen wie ein Bäcker aussah, entpuppte sich mehr als Konditorei und im angeschlossenen Café hätte man dann verweilen müssen, was den Verzehr der eben erworbenen Nahrungsgrundlagen verunmöglicht hätte. Eine Idee hatte ich aber noch, um den morgendlichen Koffeinbedarf zu decken: Das Bahnhofscafé. Dort hatten wir dann tatsächlich Erfolg und setzten uns anschließend noch für ein erstes Gebäckstück mit Kaffee auf unseren Hotelbalkon.
Neben der Überquerung der Oberalppasses per Rad, war heute natürlich noch einmal der kurze Glacier mit dem Deh 4/4 das Ziel. Um für den Zug Sonne zu haben, machte es bei der aktuellen Wetterprognose mit dem Rad eigentlich nur Sinn, ein deutliches Stück voraus bis mindestens zur Passhöhe zu fahren. Dort war um kurz nach elf mit dem Glacier zu rechnen und das würde mir auch gleich mehrere Sonnenchancen offenhalten, denn bergab kann man die Züge Richtung Andermatt erfahrungsgemäß selbst mit dem Zweirad begleiten. Entsprechend müsste ich dann aber doch langsam mal los. Zwei Stunden von Sedrun bis zur Passhöhe sollte man schon etwa einplanen, wenn es nicht in eine komplett wilde Hatz am Vormittag ausarten sollte. Kurz das Bike aufgerüstet und schon trennten sich unsere Wege vorerst wieder. Das Tagesprogramm des Mitreisenden würde voraussichtlich zunächst aus einer Begleitung des Deh-Glaciers von Disentis bis Realp bestehen. Auch durchaus eine reizvolle Option, obwohl es genau genommen in diese Fahrtrichtung am Vormittag auch nicht viele Motive gibt. Aber man ist natürlich ungemein flexibler, wenn man es auf einen speziellen Zug abgesehen hat…
Bis Tschamut gibt es mit dem Rad zunächst auch kaum eine Option, als auf der Straße zu fahren, außer ich würde noch ein weiteres Mal den wilden Versuch starten, von Dieni aus über Milez und den Pass Tiarms querfeldein zum Oberalpsee zu gelangen. Das wäre aber eher ein Programm für einen langen Sommertag, wenn auf der MGB nurmehr Orions unterwegs sind 😉
Das Stück auf der Straße war aber weniger Schlimm als vermutet, denn im Oktober mitten in der Woche und noch bei mäßigem Wetter war es nun wirklich kein prädestinierter Ausflugstag und so überholten mich außerorts vielleicht eine Handvoll Autos. Zwischenzeitlich trudelte die Bestätigung des Mitreisenden ein, dass sich auch heute der Deh für den Glacier bereitmachte. Nach einem kurzen Fotohalt ohne Bahnbezug vor Selva, ging es dann hinter Tschamut extrem steil hinauf Richtung Strecke, denn dort beginnt dann der abseits der Straße geführte Rad-/Wanderweg hinauf zum Oberalpsee. Im Grunde verläuft dieser, nachdem man die Höhe der Strecke erreicht hat, immer bahnparallel, nur das die Bahn eben vollständig in Galerie und Tunnel verläuft.
Noch hängen die Wolken tief über dem kleinen Dorf Selva am Oberalp. Immer faszinierend, wie schnell sich das Wetter hier binnen kürzester Zeit wandelt. Durch die hohen Berge wirkt der Wetterwechsel immer wie aus dem nichts, anders als wenn man im Flachland das Wetter schon Stunden vorher herannahen sieht.
Die Fahrt von Tschamut bis hinter den Oberalpsee brauchte dann nochmal rund eine Stunde, aber gerade das Stück neben dem Tunnel ist auch eine Schotterpiste vom Feinsten mit toller Aussicht hinab auf die Passstraße und die umliegenden Hänge. Die dünne Jacke wanderte bei diesem schweißtreibenden Anstieg trotz nur knapp zweistelliger Temperaturen umgehend in den Rucksack. Unmittelbar am Tunnelausgang, wo die Bahn direkt an der Straße rauskommt, wechselt der Rad-/Wanderweg dann auf die Talseite der Straße. Ich bevorzugte für die letzten Höhenmeter allerdings Asphalt unter den Reifen, denn die restliche Piste hier hinauf zur Passhöhe ist bergauf echt ein übles Ding mit den teils hintereinander gelegten Holzplanken und Stämmen. Für Züge Richtung Andermatt muss man ab der Passhöhe im Grunde noch mindestens bis hinter den See weiter am Vormittag, aber ab hier läuft es dann ja recht schnell. Pünktlich für die 11 Uhr Kreuzung stand ich also einige Meter hinter dem Oberalpsee Richtung Nätschen und wartete auf den dem Glacier vorausfahrenden Regio. Und wie bestellt kämpfte sich auch die Sonne langsam durch. Etwas schmierte sie dann zu der schönen Garnitur aus HGe 4/4 II und vier EWs plus Steuerwagen wieder ab, aber angesichts des noch nicht optimalen Sonnenstandes war das Halblicht alles andere als schlimm.
Die modernisierte HGe 4/4 II 105 zieht um kurz nach elf eine klassische EW-Garnitur zwischen Oberalp und Nätschen Richtung Andermatt.
Kurz darauf traf auch der Mitreisende ein. Viel hatte die morgendliche Runde ab Disentis wohl nicht eingebracht aufgrund des Wetters und der nicht unbeträchtlichen Reisegeschwindigkeit des Deh das Tavetsch hinauf, zumal zwischen Dieni und Tschamut auch noch eine Straßenbaustelle ausbremste. Eigentlich hätte ich den Glacier auch hier in der Ecke ein wenig variiert umgesetzt, aber ein fetter Wolkenschlauch, der immer hin und her waberte, riet irgendwie stark davon ab, das hier zu riskieren. Zumal ich mir auch nicht sicher war, den Zug von hier aus mit dem Rad wieder überholen zu können. Das wäre eine alles oder nichts Nummer. Wie ich mich gerade aufmachte und wieder auf der Straße war, sah ich vom Nätschen aber erst noch den entgegenkommenden Glacier hinaufschleichen. Den könnte ich hier gleich noch mitnehmen. Also wieder zurück auf die andere Streckenseite und dann nach dem Glacier aber mal im Vollsprint Richtung Nätschen, denn der Deh-Glacier aus Disentis war in der Zwischenzeit schon in der Kreuzung am Oberalpsee angekommen. Ein Motiv, dass es zum jetzigen Sonnenstand mit der Stelle hinter dem See aufnehmen konnte, fand sich aber nicht so recht. Das war alles noch schwierig mit dem Sonnenstand. An einer Schlangenlinie, wo zumindest das Licht passen würde, sprang ich dann aber kurzentschlossen vom Rad und hastete unterhalb der Strecke bis zum “Motiv” vor. In Häkchen, weil außer der passenden Sonne war da nicht viel Motiv… Aber zumindest sollte ich den Zug von hieraus nochmal überholen können, schließlich muss der noch einmal aus der Zahnstange raus- und wieder reinrumpeln und die Kehre am Nätschen rum. Der Mitreisende hatte sich derweil noch weiter Richtung Nätschen, am bekannten Wehr aufgebaut – die deutlich bessere Wahl!
Schade, dass der Deh-Glacier nicht aus dieser Richtung kommt. Das wäre am Vormittag insgesamt doch deutlich ergiebiger was den Sonnenstand angeht. So wird eben noch HGe 4/4 II 4 mit dem Glacier in Gegenrichtung mitgenommen, der gleich am Bahnhof Oberalppass den kurzen Deh-Glacier kreuzen wird.
Im Grunde gab es nur zwei, drei kurze Schwenks, wo die Strecke so weit rumkam, dass die Front schon Sonne hatte. Gut ausgeleuchtet, dafür motivlich maximal so mittel war dann mein erster Versuch zwischen Oberalpsee und Nätschen. Aber man will sich auch nicht beschweren, war es ohnehin schon eine knappe Nummer, dass die Sonne sich heute Vormittag überhaupt rechtzeitig durch die abziehenden Wolken gekämpft hatte. Wie schon gestern ist Deh 4/4 21 dem im doppelten Sinne kurzen Glacier nach Visp zugeteilt.
Trotz etwas beengten Verhältnissen am Wehr noch ein Stück weiter Richtung Nätschen, gelang dem Mitreisenden dort die wesentlich bessere Umsetzung der ungewöhnlichen Fuhre. Ein Auto direkt über dem Triebwagen wurde in Wiese verwandelt.
Während der Mitreisende am Wehr noch auf den Zug wartete, hatte für mich die Hatz schon begonnen. An der Strecke entlang zurück Richtung Rad gelaufen, aufgesprungen und auf Maximalgeschwindigkeit hochgezogen, bis die Geschwindigkeit höher als tretbar war. Sattel per Knopfdruck abgesenkt und klein gemacht, dann waren noch ein paar km/h mehr rauszuholen. Kurz nachdem ich von meinem eigenen Auto überholt wurde, überholte ich meinerseits am Nätschen den Zug – das würde ein verdammt knappes Ding werden, die Fuhre hinter der ersten Kehre zu erwischen. Und das war bis Andermatt in diese Richtung im Grunde gerade die einzige richtige Option. Also nochmal alles reingelegt, durch die ersten beiden Straßenkehren bergab gejagt, den Mitreisenden an der Wiese gesichtet, schnell vom Rad gesprungen und rüber gesprintet. Im Laufen die Kamera gezückt und schon schob sich der Glacier um die Kurve ins Motiv. Dafür war das Motiv diesmal auch ohne Häkchen und unter strahlend blauem Himmel – der Sprint hatte sich mehr als gelohnt!
Deh 4/4 21 hat den Bahnhof Nätschen passiert und bremst hinter dem ersten großen Bogen hinab Richtung Andermatt.
Wie nun weiter? Der Fahrplan sah für den Glacier einen längeren Aufenthalt in Andermatt vor. Auf jeden Fall lang genug, um selbst bis Hospental noch vorausfahren zu können. Das Straßenmotiv auf die Brücke hinter Hospental wäre eine Option. Also erstmal runtergerollt den Berg. Das tat gut jetzt nach den Sprints eben. Die hatten doch gut reingehauen nachdem die Fahrt von Sedrun zur Passhöhe auch schon etwas mehr als ein “Warm-Up” gewesen war 😀
Kurz vor Andermatt handelte ich mir leider einen Schleicher ein. Mit einem Tourenrad, von denen sich einige hier über den Pass quälen, hätte ich die vorsichtige Fahrweise noch verstanden. Aber dass der hier mit einem Rennrad dauerbremsend den Berg hinunterschlich, war schon ziemlich übel. Wenn ich selbst beim vergleichsweise hohen Rollwiderstand meiner MTB-Reifen ständig abbremsen musste um nicht aufzulaufen, dann müssen bei dem seinem Rennrad aber die Bremsbeläge gequalmt haben als er unten ankam. Problem war, dass ich nicht überholen konnte, da sich noch ein Sprinter zwischen mir und dem Schleicher befand. Auf der anderen Seite hatte ich es gerade aber auch nicht übermäßig eilig…
Unten in Andermatt ging es dann einmal durch die enge Ortsdurchfahrt und hinten wieder raus Richtung Hospental. Auf dem Weg nach Hospental gefiel mir dann eine Perspektive quasi direkt von der Straße aber so gut, dass ich beschloss, gleich hier zu bleiben. Ich wusste ohnehin, dass der Mitreisende auch die Brücke hinter Hospental im Visier hatte, wozu sollte wir also erneut beide an der gleichen Stelle stehen, zumal mir dieses Motiv hier noch komplett fehlte und gerade optimal im Licht war. So hatte ich jetzt auch mal ein wenig Zeit, um ein kleines Mittagessen einzulegen. Gemütlich war es hier direkt an der Straße und mit einem Holz aus dem Wald abfliegenden Heli zwar nicht gerade, aber zum Idylle tanken war auf dieser Reise nun wirklich genug Zeit und dem Bild würde man den Lärm nicht ansehen 😉
Und der Glacier kam dann aber wirklich mal perfekt um kurz nach 12. Besonders genial waren die noch nach Göschenen quellenden Wolken, die sich von oben ins Tal hinabschoben oder umgekehrt. Was hätte da schon schief gehen können? Die Antwort kam nur Momente nach der Durchfahrt, als von der anderen Seite ein Gülle schmeißender Aebi rüberkam und genau im Motiv anfing, gekonnt mit dem stinkenden Zeug um sich zu werfen. Mit dem in Hospental kreuzenden Gegenzug hielt ich das gleich noch einmal bildlich fest – lecker!
Deh 4/4 21 mit dem Glacier nach kurzer Pause in Andermatt kurz vor Hospental.
Nur Augenblicke später wechselt ein Aebi auf die Motiv-Wiese und beginnt mit seiner stinkenden Arbeit. Der entgegenkommende Regio mit Deh 4/4 52 bekommt die volle Geruchsdröhnung ab.
Der fast zeitgleiche Blick des Mitreisenden auf die Reussbrücke hinter Hospental soll natürlich nicht vorenthalten werden. Der Deh 4/4 21 wurde am Freitag der darauffolgenden Woche wohl zum letzten mal eingesetzt, wie hier vor dem kurzen Glacier nach Visp. Dies dürften dann also wohl endgültig unsere Abschiedsaufnahmen dieser Triebwagen gewesen sein, denen man jetzt in den letzten Jahren doch noch einmal sehr intensiv aufgelauert war. Gleichzeitig soll auch die HGe 4/4 II 2 ausgemustert worden sein, die wir auf dieser Tour allerdings nicht mehr angetroffen haben.
Praktischerweise war das Auto ja nun auch gerade auf dieser Seite des Passes. Ich hatte mich also mal erkundigt, wie denn der weitere Plan des Wagenlenkers aussähe – vielleicht ergäbe sich ja eine Mitfahrgelegenheit hinauf nach Nätschen. Auf dieser Seite gibt es mit dem Rad leider keine Alternative, als die Passstraße hinaufzufahren und das macht mir dann zwischen Autos und Wohnmobilen eher mäßig Spaß. Eine nette Piste abseits des Verkehrs ist da doch schöner. Die Alternative mit dem Zug würde jetzt wohl auch knapp werden, müsste ich doch erst noch zum Bahnhof Andermatt hinüberradeln. Zum Glück wurde meine Anfrage positiv beantwortet und ich ließ mich bis hoch zum Wehr hinter Nätschen mitnehmen. Unterwegs legten wir noch einen Fotohalt für den Zug ein, den ich wohl nicht mehr in Andermatt erreicht hätte.
HGe 4/4 II 103 zieht die EW-Garnitur mit dem ursprünglich für den Zermatt-Shuttle gedachten, heutigen Fahrradwagen hinauf auf den Nätschen.
Am Wehr ging es nun wunderbar von vom gegenüberliegenden Hang aus und es kam nach einem weiteren gemeinsamen kleinen Imbiss auch bald der Deh 4/4-Umlauf durch. Abseits der Wintermonate wurde hier in den vergangenen Jahren ja doch recht zuverlässig einer der Umläufe mit einem schönen “Rundlicht”-Deh, also einem Fahrzeug aus der ehemaligen BVZ-Serie bedient. Genauso wie der Oberalp immer eine Bank für klassische EW-Garnituren gewesen war. In den letzten Jahren hatte ich immer höchstens einen Kometen-Umlauf während meiner Besuche gesehen, ansonsten Loks oder Schlepptriebwagen, selten auch mal einen der moderneren Deh 4/4 II 91-96.
Den folgenden Glacier und den Regio eine Stunde später variierten wir hier auch noch unabhängig voneinander aus den Morastwiesen, von einem ursprünglich angedachten Durchschlagen bis zum Oberalpsee hinauf sahen wir dann aber doch unabgesprochen beide ab. Es war halt doch schon Oktober, sodass bei mir langsam die Zeit für meinen Nachmittagsplan drückte.
Deh 4/4 23 zieht heute den Deh-Umlauf am Oberalp. An der Staustufe kurz vor Nätschen konnte das klassische, wenn teils auch schon etwas ausgeblichene Gespann in Szene gesetzt werden. Im Gegensatz zum 21, dürfen sich der 22 und 23 zumindest in dieser Wintersaison noch einmal am Ski-Pendel Sedrun-Dieni abwechseln. Anschließend dürfte es wohl auch für die beiden letzten Deh 4/4 der ehemaligen BVZ vorbei sein. Der 24 wurde bereits vor einiger Zeit ausgemustert und Ende 2022 abgebrochen.
Anschließend war wieder Glacier-Kreuzung an der Passhöhe. Aus Zermatt kommt HGe 4/4 II 5 mit der einst üblichen 6-Wagen-Garnitur durch, während die Blaubeeren im leichten Streiflicht leuchten.
In Gegenrichtung kommt nach der Kreuzung die “Glacier-Express-Lok” HGe 4/4 II 4 durch.
Für den folgenden Regio mit der zweiten “Glacier-Lok” HGe 4/4 II 105 wurde noch einmal etwas an den Blaubeerfeldern variiert. Mit den klassischen EWs und der frisch revidierten Lok vielleicht der schönste Zug heute am Oberalp.
Durch die teils sumpfigen Wiesen ging es anschließend zurück hinter das Wehr um hoch zur Straße zu wechseln. Immer etwas schwierig das Laufen auf solchen Sumpfwiesen. Die erkennbaren Pfade waren von Tieren so zertrampelt, das man regelrecht im Matsch versackte. Läuft man querfeldein, ist es dafür bei jedem Schritt eine Überraschungsnummer ob man weit durchsackt bis ins Wasser oder festen Boden unter die Füße bekommt. Um mein für den weiteren Nachmittag noch zusammengebasteltes Programm abzuarbeiten, musste es jetzt aber weitergehen. So oft wie ich hier inzwischen schon war am Oberalp, galt es vor allem, einige Motive noch zu verbessern oder zu variieren, ganz fehlen tat irgendwie nichts mehr so richtig. Die Zielfotos für den Nachmittag waren daher das Val-Giuv-Viadukt bei Dieni von “außen” gesehen mit dem weiten Blick ins Tavetsch. Einen Takt später sollte es den Blick über den Bahnhof Segnas geben und wiederum einen Takt später zum Tagesabschluss den bekannten Blick auf das Kloster Disentis unweit des Haltepunktes Acla da Fontauna. In Teilen ein durchaus sportliches Programm denn am späten Nachmittag sind die Glaciers alle durch, sodass man mit einem Stundentakt gegen die drohenden Herbstschatten haushalten muss. Der Zeitplan war damit fix: 15:30 Dieni, 16:20 Segnas, 17:15 Acla da Fontauna. Sportlich würden die ersten beiden Punkte werden, ersterer zumindest, wenn ich an der Passhöhe noch die vorherige Regio-Kreuzung mitnehmen würde, was ich dann auch tat, nachdem ich zuvor am See noch den letzten Glacier abfing. Aus zeitlicher Sicht war die Pause an der Passhöhe natürlich bisschen dumm, aber erstens war es einfach wiedermal zu schön hier oben um das auszulassen und vor allem war der Energielevel gerade richtig im Keller und ich musste mal kurz rasten um paar Kalorien nachzuschieben. Es würde zwar theoretisch den weiteren Nachmittag nur bergab gehen, für den Blick auf das Val-Giuv-Viadukt würde aber noch ein ordentliches Stück tote Höhe zu machen sein.
Auf dem Weg meine Zielfotos des Nachmittages einzutüten, kam der Glacier am Oberalpsee einfach zu passend entgegen, um den nicht mitzunehmen. HGe 4/4 II 104 an vielleicht DEM Motivklassiker am Oberalp, der Galerieausfahrt am Ende des Sees mit der Einfahrt in die Zahnstange hinab Richtung Nätschen.
Quasi mit der Essenspause an der Passhöhe konnte der Regio mit HGe 4/4 II 103 am kurzen Abschnitt zwischen den zwei Tunnels kurz vor dem Kreuzungsbahnhof Oberalppass mitgenommen werden.
Nach erfolgter Kreuzung geht die Fahrt weiter Richtung Andermatt.
Die Talfahrt ging dann bis hinab nach Tschamut wieder auf der bahntunnelparallelen Schotterpiste. Einmal galt es zünftig in die Bremsen zu gehen um eine Horde Schulkinder im Schritttempo zu passieren. Die Gesetzmäßigkeit bei solchen großen Gruppen von Kindern besagt schließlich, dass die sich immer so wild wie möglich nach überall hin verstreuen, nur nicht dorthin, wo die Erzieherinnen es vorgesehen haben 😀 Ich habe da immer den höchsten Respekt mit so einer Bande Kindern und nur zwei, drei Betreuern solche Unternehmungen zu starten…
In Dieni angekommen wechselte ich dann auf die kleine Asphaltstraße hinauf Richtung Milez. So weit hinauf wollte ich freilich nicht, Ziel war die Höhe der kleinen Kapelle Giuv, die mir als bildbereicherndes Element dienen sollte. Das waren immerhin nochmal 160 Höhenmeter, was an sich kein Problem darstellte, aber die Zeit saß mir nun doch etwas im Nacken. Also nochmal mit allem was ging in die Pedale und so ging es sich doch um wenige Minuten aus. Zum Glück ist die Streckensicht hier ja ewig weit, man kann den Zug praktisch schon fünf bis zehn Minuten vor Ankunft hinten bei Bugnei um die Ecke biegen sehen, sodass man kaum überrascht werden kann. Am Himmel hatte sich zwischenzeitlich etwas Siff zusammengeschoben, aber die Sonne gab noch mal alles für den folgenden Regio.
Der Regio mit Deh 4/4 23 kam nun wirklich perfekt für dieses Motiv, passte der mit seinen vier EWs doch einfach perfekt in das kurze Motiv auf dem Val-Giuv-Viadukt. Der Blick fällt von der Kappelle Giuv weit über das Tavetsch und Sedrun.
Meine Zeitkalkulation wurde vorerst kaum großzügiger, hatte ich jetzt doch nur rund 40 Minuten, um bis nach Segnas zu gelangen. Glücklicherweise kennt man die Wege und Distanzen hier inzwischen recht gut, sodass es sich gut abschätzen lässt und man auch nicht ständig nach dem rechten Weg auf der Karte schielen muss. So hielt ich auch einen kurzen Boxenstopp beim Coop in Sedrun noch für möglich und ergänzte die Reserven im Rucksack, schließlich waren es bis zum Abendessen doch noch paar Stunden… Theoretisch kann man ab Sedrun komplett unabhängig von der Straße, fast bahnparallel fahren, allerdings war die Zeit dafür doch etwas knapp. So rollte ich energiesparen die Straße hinab bis vor den kurzen Straßentunnel, wo ich dann hinauf zur Piste neben der Bahnstrecke wechselte. Da mein Motiv vom Hang oberhalb Segnas war, wo diese Piste mich direkt hinbringen würde, hätte es wenig Sinn gemacht, zunächst auf der Straße bis in den Ort zu rollen und dann wieder hinauf. Wäre auch zeitlich nicht drin gewesen, denn das war hier wieder eine Punktlandung.
Der Blick vom Hang über den Bahnhof Segnas war mir schon vor zwei Jahren ziemlich im Siff untergegangen und noch dazu “nur” mit einem Komenten gelungen. Heute gab sich die Sonne wenigstens noch etwas Mühe und die reine EW-Garnitur mit HGe 4/4 II 105 kommt eh super…
Ich blieb noch etwas auf der hier wirklich genial im Motiv stehenden Bank sitzen, aß eine Kleinigkeit, ließ den Blick über das Tal schweifen und beobachtete interessiert die Herdenschutzhunde hinter mir auf der Wiese. Bald kam auch der Schäfer und brachte den beiden ihr Abendessen. Erst dachte ich, als ich den Schäfer noch nicht als solchen erkannt hatte, gleich geht das Gebell richtig los, da der mit zwei fremden Hunden sich dem Zaun der Weise näherte und aussah wie ein gewöhnlicher Wanderer. So aber kannten sich alle vier Hunde und der Schäfer und es blieb alles gelassen ruhig, während sich die beiden Herdenschutzhunde über ihr Fressen freuten. Man merkt, dass es nach dem etwas sportlichen Zeitplan der letzten zwei Stunden nun wieder ganz gemütlich zuging, denn bis zum nächsten Zug in einer knappen Stunde galt es nur noch nach Acla da Fontauna hinabzurollen, was von hieraus kaum zehn Minuten dauern sollte.
Recht spontan nahm ich dann von meiner Schotterpiste am Ortseingang von Segnas aus noch einen Talfahrer im krassen Gegenlicht auf. Das hatte ich überhaupt nicht geplant, aber als der Zug am Hang hinab kam und ich mich spontan umdrehte, sah das mit der im Gegenlicht leuchtenden Wiese und den Pusteblumen gerade irgendwie richtig gut aus.
Die gleiche Szene vom letzten Bild nun in Gegenrichtung gesehen: Oberhalb der Kurve hatte ich eben noch auf der Bank die letzte Aufnahme geschossen. HGe 4/4 II 103 scheint am Nachmittag in Andermatt einen Wagen verloren zu haben, zumindest ist sie jetzt nur noch mit drei EWs und dem Fahrradwagen unterwegs.
An der Steinmauer bei Acla da Fontauna angekommen, hatte ich dann noch gut eine halbe Stunde Zeit, bis die Fuhre von eben aus Disentis zurückkommen würde. Die Wendezeit ist dort durchaus großzügig ausgelegt, schließlich müssen die Anschlüsse auf die RhB im Taktfahrplan passen. So setzte ich mich gemütlich an die Mauer, nahm noch einen Snack und wartete. Zu meiner Überraschung brach selbst jetzt noch immer wieder die Sonne durch den Siff. Eigentlich hatte ich das hier schon abgeschrieben, aber etwas Besseres gab es im Fahrradradius eh nicht mehr anzustellen nach 17 Uhr. Ich fragte mal beim Mitreisenden an, ob man sich dann demnächst in Disentis treffen wollte. Dann könnten wir gleich noch einkaufen und ich müsste den Berg nicht wieder hoch bis Sedrun – wieder eine Spur Eigennutz dabei bei diesem Treffpunkt 😉 Stattdessen kam die Antwort, er wäre für den 17:16er in Acla – na, das passt doch noch besser 😀
So trudelte er dann bald an “meinem” Motiv ein, kurz nachdem der Deh 4/4 23 mit seinem kurzen Glacier aus Visp zurückkam und nach Disentis einrollte. Zu machen war mit dem beim jetzigen Sonnenstand natürlich nichts an dieser Stelle. Zu meiner Überraschung drehte die Sonne dann aber auch für den 17:16 Regio noch einmal voll auf. Das war dann aber mal ein richtig genialer Tagesabschluss.
Den gelungenen Abschluss eines gelungenen Tages bildet noch einmal HGe 4/4 II 103 mit ihrem Regio nach Andermatt kurz nach Fahrtantritt in Disentis vor dem Haltepunkt Acla da Fontauna. Vielleicht meine letzte Aufnahme eines klassischen EW-Lokzuges am Oberalp – es wäre in jedem Fall ein Würdiges!
Am Haltepunkt verlud ich das Rad wieder auf das Auto und wir fuhren das kurze Stück hinüber zum örtlichen Coop. Mit dem dort erstandenen Abendessen saßen wir dann ganz gemütlich auf unserem Hotelbalkon mit Blick auf das Gemeindehaus von Sedrun und den örtlichen Kirchturm. Eine dünne Jacke war jetzt schon nötig, aber es war einfach schön hier noch an der frischen Luft sitzen zu können. Und das im Oktober auf fast 1400 Metern…
Morgen gilt es dann auch an der RhB Abschied zu nehmen von klassischen EW-Lokzügen. Jene letzten waren im Oktober noch auf der Rheintallinie Chur – Disentis unterwegs, wohl aber nur noch bis zum Fahrplanwechsel Ende des Jahres. Da ich von dieser Strecke im oberen Abschnitt Disentis – Ilanz für RhB-Verhältnisse ohnehin noch kaum Aufnahmen hatte, passte das perfekt.