Prolog
Winter 2015/16. Blick auf die Europakarte. Was könnte man denn im kommenden Sommer anstellen? Osten? Nicht schon wieder! Norden? Immer diese vier Euronen für jeden Kaffee… Süden? Wenig neues! Also blieb ja nur noch der Westen übrig, oder besser gesagt der Südwesten:
Die Meterspur- und Zahnradbahnen der Pyrenäen stehen eigentlich schon viel zu lange auf der Wunschliste und zumindest meinerseits auch die ostspanischen Straßenbahnbetriebe.
Gut – Programm für eine Woche wäre da locker, aber wie wird aus dem Ganzen jetzt ein Schuh? Ein Auto wäre vor Ort aufgrund des Eisenbahnprogramms Pflicht. Aber die Flüge für zwei Personen und noch ein Mietwagen vor Ort, da ist es ja doch irgendwie günstiger mit dem eigenen gummibereiften Gefährt anzurücken, anstatt dann von den Flügen her fest gebunden zu sein und mit irgend so einer untermotorisierten Leihwagenmöhre in den Bergen Züge zu jagen…
Nennt mich Umweltsau, aber das Flugzeug ist erwiesenermaßen vom pro Kopf Ausstoß her kein Stück besser als das Auto und VW baut ja ohnehin die umweltfreundlichsten Fahrzeuge 😉
Die eigentliche Frage war nun, wie aus den jeweils gut 1600 km An- und Abreise ein Programm werden würde und eben nicht nur An- und Abreise. So kristallisierte sich langsam ein Programm heraus, das für beide Parteien etwas zu bieten haben sollte:
Hinfahrt über die Pariser Translohr Linie T6 *och nööö, Ile de France – diese Häuserwüste*, Orléans Linie B und neue Citadis 302 *Aah das gefällt, Postkartenmotiv mit Kathedrale* und Tours. Dann Kulturprogramm mit der Dune du Pilat um anschließend in den Pyrenäen bei der Cremallier de la Rhune anzukommen. Weitergehen würde es über Bilbao, Vitoria-Gasteiz, Zaragoza und Barcelona. Ein paar Bilder der AVE-Strecke sollte dabei auch abfallen und mal schauen was beim baskischen Schmalspurnetz geht. Anschließend geht es wieder in die Berge zur Cremallera de Montserrat und zur Cremallera de Núria. Zurück in Frankreich ist natürlich die Pyrenäenmetro Pflicht, bevor der Rückweg über den Puy de Dome im Massif central, Toulouse, Dijon und Besançon angetreten wird.
Die übrigen Teilen dieses Reiseberichtes sind hier zu finden: Reisebericht 2016: Einmal um die Pyrenäen
25.08.2016 – Die ersten 1000 Kilometer: Paris T6, Orléans und Tours
Im besten Tiefschlaf schrillt der Wecker, aber wer zum Frühstück in Paris sein will, muss eben früh aufstehen. Schnell ein Koffeinsüppchen heruntergespült und auf geht’s. Erschreckend, was selbst morgens um drei auf den deutschen Autobahnen los ist, aber Köln und der Rhein können noch kurz vor dem Berufsverkehr passiert werden. Belgien wird außer einer Kaffeepause ignoriert und schon finden wir uns auf der Périphérique von Paris wieder.
Die neue Translohr Linie T6 befindet sich im Südwesten von Paris im Ile de France. Sie beginnt in Chatillion und führt nach Viroflay. Wie üblich schließt in Chatillion die Metro an und in Viroflay besteht Übergang zur Vorortbahn. Im Einsatz stehen hier, im Gegensatz zur älteren Translohr Linie, sechsteilige Fahrzeuge des Typs STE6. Eröffnet wurde die Linie im Jahr 2013.
Entgegen meiner Erwartung, zeigte sich die Strecke recht abwechslungsreich. Das System Translohr erschließt sich mir jedoch immer noch nicht. Als hätte jemand gedacht, “lasst uns die Nachteile von Straßenbahn und Bus kombinieren”, aber das ist eine andere Geschichte, die wahrscheinlich nicht ohne einige Geldkoffer von Michelin und Lohr zu erklären ist… 😉
Vom Betrieb und der Infrastruktur her, kann man den Translohr jedenfalls bis auf die Fahrbahn, mit einer Straßenbahn gleichsetzten. Angefangen in Chatillion entstanden einige Bilder entlang der Strecke.
Endhaltestelle in Chatillion mit Metroanschluss
Wagen 606 ebenfalls in Chatillion
Wagen 622 nahe der Haltestelle Mail de la Plaine
Hinter der Station Pavé Blanc teilt sich der Translohr, wie im Hintergrund zu erkennen, kurzzeitig die Fahrbahn mit dem Individualverkehr.
Ein letztes Bild bei der Haltestelle Dewoitine
Jetzt hatten wir aber genug von diesem komischen Gefährt und wechselten noch für ein Bild der T7 nach Orly. Da meine Wenigkeit auch die T7 noch nicht kannte, sollte wenigstens das bekannte Bild mit der Concorde an der Endstation Porte de l’Essonne drin sein und natürlich ein Bild des hier eingesetzten Citadis 302 im veränderten Design. Und wie das eben so ist, wenn man bei 37° in der Sonne steht, ohne Aussicht auf Schatten: Es will einfach nichts kommen. Wenigstens der Flugverkehr lief im Minutentakt und so gab’s eben Flugzeuge anzuschauen 😀
Nach geschlagenen 20min setzte sich der in der Endstation stehende Wagen dann doch mal in Bewegung und sogleich kam auch einer aus der Gegenrichtung passend ins Motiv gefahren. Wir mutmaßten, dass es entweder eine Betriebsstörung gegeben hatte, oder dass irgendwo eine Zwischenendstation sein müsste. Man hätte natürlich auf den Fahrplan schauen können, aber Bewegung bei dieser Hitze? Besser nicht und dann kommt er am Ende noch in dem Moment… Aber egal, das Bild war auf dem Chip und nach einer kurzen Stärkung im Carrefour konnte die Fahrt nach Orleans angegangen werden.
Tatsächlich wagte sich nach 20 min Wagen 718 an der Concorde vorbei zur Endhaltestelle.
Unter Einwurf einiger Münzen erreichten wir über die Autobahn in eineinhalb Stunden Orleans. Seit 2012 verkehrt hier eine zweite Linie, welche mit Citadis 302 bedient wird. Ein echter Rückschritt zum Vorgänger 301, welcher noch mit Drehgestellen an den Endmodulen aufwarten konnte. Die Linie B fährt denn auch ausschließlich mit den neuen Wagen, da sie in der Innenstadt komplett ohne Fahrleitung mit APS verkehrt, wofür die älteren Wagen nicht ausgerüstet sind. Das eigentliche Highlight ist aber der junge Klassiker mit Straßenbahn und Kathedrale in der Rue Jeanne d’Arc. An dieser Stelle wird der optische Vorteil des teuren APS hervorragend demonstriert. Auto also an der Parkuhr hinterm Rathaus abgestellt und bisschen in der Innenstadt gefuzzt.
Die Wagen 79 und 73 treffen sich in der Rue Jeanne d’Arc vor dem prächtigen Antlitz der Kathedrale von Orlean. Ein Paradebeispiel für den städtebaulich sinnvollen Einsatz von APS.
Auf dem Place du Général de Gaulle kreuzen sich die beiden Linien. Interessanterweise verbindet die beiden Linien an dieser Stelle lediglich eine Gleisverbindung zwischen dem stadteinwärts führenden Gleis der Linie A und dem Richtung Kathedrale führenden Gleis der Line B. Für den Fall, dass es nicht irgendwo an der Linie B noch ein mir unbekanntes neues Depot gibt, ist das schon eine sehr suboptimale Lösung für Ein- und Ausrücker auf die neue Linie B. [Nachtrag] Für die Linie B wurde ein eigenes, neues Depot errichtet[/Nachtrag]
Wagen 53 der Linie A auf dem Place du Général de Gaulle
Auf der Linie A verkehren, wie im Hintergrund zu sehen, auch neue Wagen des Typs Citadis 302. Wagen 69 wartet, bis Wagen 61 die Kreuzung geräumt hat.
Wagen 56 auf dem Place du Martroi
Hier die Veranschaulichung der einzigen Gleisverbindung beider Linien rechts im Bild. Mal wieder an der falschen Stelle gespart?
Weil’s so schön ist nochmal ohne Autos und Menschen. Wie auf der Postkarte 😀
Citadis 302 68 der Linie B erreicht die Haltestelle Hotel de Ville
Die Schatten wurden länger und die Hitze damit wieder erträglicher und es wurde Zeit, die kurze Visite in Orlean zu beenden und Richtung Tours aufzubrechen, wo bereits eine Unterkunft gebucht war. 120 km später war Tours erreicht. Mein erster neuer Trambetrieb auf dieser Reise und so wurde gleich mal ein innenstadtnaher Parkplatz aufgesucht und ein paar Bilder im Abendlicht geschossen.
Die Straßenbahn in Tours verkehrt seit dem Jahr 2013 mit den siebenteiligen Citadis 402. In der Innenstadt wurde komplett auf das APS-System gesetzt. Ob nötig oder nicht, bei der architektonisch eher weniger anspruchsvollen Nachkriegsbebauung der Fußgängerzone, sei mal dahingestellt. Wenigstens auf der Pont Wilson hat das Fehlen der Fahrleitung einen gewissen Mehrwert.
Wagen 068 auf der Pont Wilson
Das unvermeidliche Karussell war an der Haltestelle Place Anatole France postiert
Ob die anspruchsvolle Architektur der Fußgängerzone durch eine Fahrleitung tatsächlich verloren hätte… Sei’s drum, das Geld war da, also wurde es verbuddelt 😉
Da es in der Fußgängerzone außer Eis und süßen Backwaren seltsamerweise kein Essen gab, fuhren wir mit dem Auto stadtauswärts in Richtung Hotel. Am nächsten Morgen wussten wir dann auch warum: Die Fressmeile war in der Altstadt positioniert. Die dort aushängenden Preise (u.a. 5,60€ für’n Halben, joa da ist’s ja auf der Wiesn günstiger 😀 ) hätten uns aber eh nicht entzückt… Also beim freundlichen Pizzamann gehalten und schon gab’s an der kühler werdenden Abendluft noch ein nettes Gespräch mit dem Pizzabäcker gratis dazu. Auf Französisch, Englisch bis Deutsch über Politik und Leben hier und da zu quatschen und dabei zu Versuchen, dem wissbegierigen Sprachkünstler die Unterschiede von “s” und “ß” zu erklären – schon irgendwie lustig. Der gute Mann sprach irgendwie von jeder Sprache ein bisschen und nichts ganz. Programmpunkt Land und Leute: abgehakt 😀
Damit war Tag 1 dann auch ausgeschöpft und wir fielen erledigt in die Betten.
26.08.2016 – Und nochmal 600 km
Am nächsten Morgen stand nochmal Tours auf dem Plan. Wir starteten erneut auf der Pont Wilson, bevor es hinüber zum Hotel de Ville und noch etwas durch die Gassen der Innenstadt ging.
Die morgendliche Ansicht der Pont Wilson mit Wagen 052. An der Haltestelle Place Choiseul im Hintergrund beginnt die Fahrleitung.
Wagen 071 vor dem Hotel de Ville
Und von der anderen Seite aus gesehen vor dem Palais de Justice
An der Haltestelle Choiseul wird von Fahrleitung auf APS gewechselt
Nach einem kleinen Bummel durch die Altstadt hieß es Strecke machen. Es stand für heute nur noch Kulturprogramm in Form der bekannten Dune du Pilat an. Eine riesige Wanderdüne an der Atlantikküste bei Arcachon. Etwas von der Treppe auf den teils 100 m hohen Sandberg entfernt, nimmt die Dichte der Touristen auch schnell ab und es ist gut auszuhalten. Ein besonderes Highlight ist natürlich der fast schwebende Abstieg von der Düne.
Dune du Pilat
Hinter der Düne beginnt landseitig direkt der dichte Kiefernwald.
Gegen Abend erreichten wir dann den kleinen Ort Sare, unweit der Talstation der Chemin de fer de la Rhune. Bei der Zahnradbahn selbst war aufgrund der versinkenden Sonne nichts mehr zu machen. Im Ortszentrum herrschte aber noch reges Treiben und so ließen wir den Abend bei baskischen Bierspezialitäten ausklingen. Im Klartext heißt das so viel wie, ein Bier schmeckte schlimmer als das Nächste und richtig kalt waren sie auch nicht, aber irgendwie war es doch interessant, was in der Welt alles als Bier verkauft wird 😀
Das kleine Dorf Sale unweit der Talstation der Chemin de der de la Rhune.
Von hier ist bereits das morgige Ziel zu erkennen. In der Senke der Berge rechts der Säule ist der Funkturm des Gipfels von La Rhune zu erkennen.
Am nächsten Morgen geht es dann bei Kaiserwetter mit der Chemin de fer de la Rhune auf den Berg und anschließend entlang der baskischen Schmalspurbahn nach Bilbao.