Im vergangenen März ging es für mich erstmals auf den afrikanischen Kontinent. Ziel waren die Straßenbahnbetriebe Ägyptens in Alexandria und Kairo. Nicht nur aus Sicht der Straßenbahn exotische und interessante acht Tage sollten in Ägypten verbracht werden.
Prolog
Schon lange schlummerte in meinem Umfeld der Gedanke an den vielleicht exotischsten Straßenbahnbetrieb der Welt in Alexandria: Fahrzeuge die übler zugerichtet sind als bei uns auf dem Schrottplatz, ein Verkehrschaos das seines Gleichen sucht und natürlich die für Mitteleuropäer gänzlich unbekannte Umgebung in den Straßen. Ob es auf der Welt überhaut einen noch exotischeren Straßenbahnbetrieb gibt? Spontan fällt mir jetzt nur noch das indischen Kalkutta ein. Was Alexandria allerdings ganz besonders interessant macht: Neben alten japanischen und den ersten neuen ukrainischen Fahrzeugen, kommen hier nach über 40 Jahren noch immer die über 50 jährigen Düwag GT6 des 1973 stillgelegten Straßenbahnbetriebes von Kopenhagen zum Einsatz.
Die wie gewohnt herausragend bebilderte Berichtreihe auf tramreport.de Anfang 2018, rief den Gedanken an Alexandria bei der zweiten Hälfte der Reisegruppe wohl wieder in Erinnerung, zudem mehrten sich die Gerüchte über die Beschaffung neuer Fahrzeuge, welche die abgerocktesten der Düwag-Fahrzeuge ersetzten könnten. Ein Zwischenhändler in Ägypten hatte gebrauchte KT4D aus Berlin erworben, welche in der Wüste auf weitere Verwendung warteten, schlussendlich wurden aber sogar Neufahrzeuge aus der Ukraine bestellt.
Die Dringlichkeit der Unternehmung “Ägypten” stieg also, es musste nur noch ein Mitreisender gefunden werden. Dieser Mitreisende war niemand anderes als meine Wenigkeit, wobei es einiges an Überzeugungsarbeit bedurfte, mich für diese abendteuerlichen Unternehmung zu gewinnen. Will man sich diesen Wahnsinn wirklich antun? So viele, viel schönere Orte auf der Welt luden zu einem erholsamen Urlaub ein, warum also in dieses Chaos aus heruntergekommenden Häuserwüsten, wildem Autoverkehr und stinkenden Müllbergen stürzen. Andererseits – die im Netz vorhandenen Bilder reizten ja schon irgendwie und so einen nicht alltäglichen Ort zu besuchen, wo noch nicht abertausende Aufnahmen im Netz herumschwirren und nicht monatlich drei Berichte von zu lesen sind… Ja, das hätte doch irgendwie schon was! Und so ließ ich mich auf das Abendteuer Ägypten ein.
Nachdem ein passender Termin zwischen Mitte März und Mitte April gefunden war – die einzige für Norddeutsche klimatisch erträgliche Zeit im Jahr mit wenig Regentagen – wurden die Flüge nach und von Kairo für Ende März gebucht.
Acht Tage sollte die Reise umfassen: Am Samstag von Berlin Schönefeld nach Kairo und nach einer Zwischenübernachtung mit der ägyptischen Eisenbahn weiter nach Alexandria. In Alexandria hätten wir dann zwei und zwei halbe Tage für die Straßenbahn Zeit, bevor es zurück nach Kairo geht. Dort waren dann noch mal zwei Tage für die Reste der Straßenbahn – so sie denn noch fahren sollten – und einen kleinen kulturellen Einblick vorgesehen, bevor es am Samstag zurück nach Europa gehen sollte.
Samstag, 23. März 2019: Über Berlin nach Kairo
Der Flug von Berlin Schönefeld nach Kairo International war erst für kurz vor drei am Nachmittag vorgesehen. Zu völlig ungewohnter Zeit ging es daher erst um halb zehn in der Löwenstadt los. Irgendwie seltsam, am Morgen einer Reise noch ganz gemütlich zu frühstücken und den Koffer zu packen, sonst geht es immer halb verschlafen irgendwann zu unmenschlicher Zeit zwischen 3 und 6 Uhr früh los… Mit dem Flug wurde auch gleich das günstige Rail&Fly Angebot genutzt, sodass es mit der Straßenbahn zum Bahnhof ging, wo die nur zweiköpfige Reisegruppe um kurz vor zehn zusammentraf, um mit dem 10 Uhr ICE nach Berlin zu fahren.
Mit den Linien 4 und 1 ging es zu ungewohnter Zeit um halb zehn zum Hauptbahnhof. Morgendlicher Hochnebel lag über der Löwenstadt an der Endschleife Radeklint – mit soetwas würden wir uns in den nächsten Tagen wohl nicht herumplagen müssen…
Der ICE war an diesem Samstagvormittag pünktlich und nicht übermäßig voll, sodass sich auch ohne Reservierung noch ein schöner Platz vorn im Zug fand. Kurz hinter Wolfsburg kam dann eine Zugbegleiterin durch und verteilte Gummibären an die Reisenden. Uns schwahnte schon Böses: Verteilt man nun bei der DB schon im Vorhinein einer Störung Wiedergutmachungsgeschenke, um den Unmut der Fahrgäste zu bändigen? Aber die freundliche Zugbegleiterin meinte es sei alles in Ordnung, konnte unsere Frage womit wir dieses Geschenk verdienten allerdings auch nicht beantworten 😀 Vieleicht auch Schleichwerbung für HARIBO…
Jedenfallls erreichten wir Berlin pünktlich und nach dem üblichen Gegurke über die Stadtbahn stiegen wir im Ostbahnhof, nach einem Mittagskäffchen im Bahnhof, in den RE nach Schönefeld.
Den Spaß mit der S-Bahn nach Schönefeld zu fahren gaben wir uns nicht 😀 Stattdessen ging es nach einem Kaffee mit dem RE weiter.
Am Flughafen Schönefeld verlief alles reibungslos und so enterten wir gegen halb drei die Egyptair 737-800 nach Kairo.
Für die Flugdauer von fast vier Stunden eine doch eher kleine Maschine, aber selbst diese war nicht ausgebucht und so blieb der Mittelplatz in unserer Reihe dankenswerterweise unbesetzt. So konnte das Mittagessen und der Tee ohne große Verrenkungen genossen werden. Für Systemessen war das Chicken mit Gemüse auch gar nicht mal schlecht…
Unsere Egypair 737-800 rollt in Berlin Schönefeld zum Gate.
Die Sicht während des gesamten Fluges war genial: Über Tschechien, die Slowakai, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Griechenland ging es zum Mittelmeer. Wie im Film wurden uns jede Menge Orte im Minutenabstand präsentiert, denen man ebenfalls mal wieder einen Besuch abstatten könnte. Aber wir ließen Böhmen, die hohe Tatra, Craiova und all die anderen Orte, die auch mal wieder auf dem Wunschzettel standen, unter uns hinwegrauschen. Für diese Woche stand schließlich ein besonders außergewöhnliches Ziel auf dem Plan…
Die hohe Tatra zeigt sich Ende März noch von dickem Schnee bedeckt.
Über dem Mittelmeer wurde es dann stellenweise sehr ungemütlich, bevor bei Sonnenuntergang Ägypten erreicht wurde. Über Kairo drehte der Flieger dann noch eine riesige Schleife über die gesamte 16 Millionen Einwohner-Stadt, auch ein erster Blick auf die im Dunkeln angestrahlten Pyramiden konnte erhascht werden.
Die Einreise nach Ägypten verlief einigermaßen einfach. An einem Bankschalter in der Ankunftshalle vor der Passkontrolle muss ein Visum für 25 Dollar erworben werden. Dieses wird dann bei der Passkontrolle eingeklebt und ein Stempel draufgehauen. Warum allerdings das gestempelte Visum im Pass anschließend an jeder Tür noch einmal von einem Beamten kontrolliert wird, bleibt ein Rätsel.
Für den Transfer zum Hotel in Stadtmitte hatten wir einen Shuttle-Service des Hotels bestellt. Auf das Feilschen mit den Taxifahrern oder ewiges Herumgegurke mit dem Bus hatte wir nach dem vierstündigen Flug einfach keine Lust mehr, auch wenn die 15 Dollar für die etwa 40 minütige Fahrt sicher deutlich über dem Normalniveau liegen dürften. Auf der Fahrt zum Hotel unweit des Tahrirplatzes bekamen wir einen ersten Einblick in das völlig chaotische Verkehrsgeschehen: Gefahren wird mit Allem, was mindestens zwei Räder hat. Der Zustand der Karosse ist dabei völlig nebensächlich, Hauptsache irgendein knatternder Motor schafft es irgendwie, das Gefährt in Bewegung zu setzten. Fahrstreifen sind ebenso wie Ampeln die absolute Ausnahme und wo vorhanden, werden sie schlichtweg missachtet. Wichtigster Teil am Gefährt ist ohnehin die Hupe, diese wird nicht etwa benutzt um vor gefährlichen Situationen zu warnen, sondern in allen erdenklichen Lagen: Nähert man sich rechts, links, von Vorn oder von Hinten an ein anderes Fahrzeug an, wird zur Erkennung kurz gehupt. Wird auf eine Kreuzung oder Einmündung zugefahren wird gehupt. Ist irgendwo ein Fußgänger zu sehen – richtig – es wird gehupt. Auch sämtliche Gefühlausdrück werden mit einem beherzten Druck aufs Lenkrad artikuliert, sei es ein freundlicher Gruß, Ungeduld oder die Erbostheit über einen anderen Fahrzeuglenker. Durch die gesamte Stadt schallt daher ein niemals endendes Hupkonzert.
Glücklicherweise war an diesem Abend nicht mehr übermäßig viel los, sodass es doch ganz gut lief. Nach dem Einchecken wurde auf der Suche nach SIM-Karten und Essen noch ein wenig durch die Innenstadt flaniert. Ersteres erledigten wir in einem Vodafone Store: 4 GB im 4G Netz für umgerechnet 7 Euro. Und so viel sei gesagt: Funktioniert auch sonst nichts in diesem Land, die Abdeckung des mobilen Internet ist im gesamten Nildelta ein digitales Zeitalter weiter, als der Flickenteppich des hochgradig peinlichen und überteuerten deutschen Mobilfunknetztes.
Da wir in diesem Viertel irgendwie kein einziges vernünftiges Restaurant vorfanden, ging es kurzerhand in einen westlich anmutenden und vertrauenswürdigen Fast-Food Schuppen. Das Problem in Ägypten ist, wie man es auch aus anderen Ländern kennt, das das Gewerk mehr oder weniger nach Straßen oder Vierteln sortiert ist. In der einen Straße gibt es nur Kleidung, in der Nächsten Elektrobedarf und in wieder der Nächsten sind die Autoschrauber zu finden. Auf die Schnelle und mit unserer nicht vorhandenen Ortskenntnis, konnten wir allerdings das “Restaurantviertel” nicht ausfindig machen, sodass wir es bei einem Teller Frittiertem in besagtem Fast-Food Schuppen beließen. Wir waren schon mehr als froh, nach einer Viertelstunde die “Mobilfunkanbieterstraße” gefunden zu haben 😀 Anschließend ging es nur noch erledigt von der Anreise in die Betten.
Sonntag, 24. März 2019 I: Mit dem Henschler-Diesel von Kairo nach Alexandria
Unser Zug nach Alexandria sollte heute Morgen bereits um 8 die Ramsis Station verlassen. Tickets hatten wir bereit, denn die “Premiumzüge”, welche die Strecke nach Alexandria in knapp drei Stunden ohne Halt zurücklegen, lassen sich bequem übers Internet buchen und bezahlen und die ausgedruckte A4 Seite sollte auch anstandslos akzeptiert werden. Rund sieben Euro kostete uns die Fahrt in der ersten Klasse des Schnellzuges. Was für uns nach nichts klingt, sind ungefähr 140 ägyptische Pfund und für die normale Bevölkerung schon eine hohe Summe.
Morgendlicher Blick aus dem Hotelfenster: Die westlichen Premium-Hotels, wie das hier zu sehende Hilton, das Steigenberger, Ritz-Carlton und wie sie alle heißen, befinden sich alle rund um den Tahrir-Platz oder am Nilufer. Die Preise unterscheiden sich allerdings auch nicht wesentlich von den Westlichen, sodass wir mit einem einigermaßen vertrauenswürdigen Schuppen unweit des Tahrir-Platzes Vorlieb nahmen.
Ohne Frühstück verließen wir daher um kurz nach sieben das Hotel und zogen Richtung Ramsis Station. Nach knapp 30 Minuten waren die 2 Kilometer geschafft und wir genehmigten uns in der Bahnhofshalle auf die Schnelle noch ein kleines Frühstück mit Capuccino, Croissant und Cheese-Cake. Das Café auf der Empore in der Empfangshalle hatte dabei nicht nur ein angenehmes Ambiente, sondern konnte auch in Sachen Service und der dargebotenen Leckereien überzeugen. Hier hätte ich durchaus noch einige Minuten verweilen und das Flair der prächtigen Eingangshalle mit Blick auf die in den Kopfbahnhof rangierenden Züge genießen können. Leider hatten wir uns mit der Zeit allerdings etwas verschätzt und so blieben nur wenige Minuten für das schnelle Frühstück, bis wir unseren Zug nach Alexandria entern mussten.
Unmittelbar bei der Ramsis-Station befindet sich auch die Moschee “Masjid El Fath”
Das Café in der Bahnhofshalle ist zu dieser frühen Zeit noch fast leer. Vor neun Uhr beginnt das Leben in Ägypten noch nicht so richtig.
Während der morgendliche Café genossen wird, fällt der Blick durch die große Scheibe in die Abfahrtshalle der Ramsis Station. Rechts einer der Premium Schnellzüge.
Erst vor wenigen Wochen erlangte die Ramsis Station im Übrigen traurige Aufmerksamkeit, als ein führerloser Schnellzug in eines der Stumpfgleise rollte und eine Explosion eines Heizkessels verursachte, welche mindestens 20 Menschen das Leben kostete. Zu sehen war von den Folgen dieses Unglücks nichts mehr, der Bereich in dem sich der Brand ereignete war großflächig verhängt. Zu verhängnisvollen Unfällen kam es in den vergangenen Jahren bei der ägyptischen Eisenbahn immer wieder. Schuld ist meist die marode Infrastruktur und die nicht vorhandene Sicherheitsphilosophie.
Die Bahnstrecke von Kairo nach Alexandria wurde laut Wikipedia bereits 1854 eröffnet und ist damit die älteste Eisenbahntrecke Afrikas und des Nahen Osten. Einige große Güterbahnhöfe befinden sich in den größten Städten entlang der Strecke in Banha und Tanta. Der Verkehr scheint allerdings Größtenteils zum Erliegen gekommen zu sein, denn viel Aktivität war um die abgestellten Güterwagen nicht auszumachen. Zwischen den Gleisen in den Abstellanlagen waren immer wieder kleine Hüttensiedlungen auszumachen und überall lagerten Menschen oder liefen über die Gleise. Während der Fahrt kamen zahlreiche Personenzüge entgegen, denn die Strecke zwischen Kairo und Alexandria hat auch heute noch eine große Bedeutung für den Personenverkehr und neben den etwa stündlich ohne Halt fahrenden Schnellzügen, sind auch diverse Locals auf der Strecke unterwegs.
Für die rund 200 Kilometer benötigt unser Schnellzug nur rund drei Stunden. Eine durchaus beachtliche Reisegeschwindigkeit für dieses Land. In den bequemen erster Klasse Sitzen ließ es sich auch gut aushalten und abwechselnd zogen Häuserwüsten und bewirtschaftete Felder am Fenster vorbei. Die Fahrt geht einmal durch das Nildelta zur Mittelmeerküste hinauf. Die Region um den Nil und das Nildelta gelten als eine der am dichtesten bevölkerten Flächen der Erde. Kein Wunder, lebt doch hier in der fruchtbaren Region des Landes die klare Mehrheit der mittlerweile fast 100 Millionen Ägypter. Der Blick aus dem Fenster zog einen geradezu in seinen Bann, nicht weil er besonders einladend oder landschaftlich reizvoll gewesen wäre, sondern weil einfach Alles da draußen wahnsinnig fremd erschien. Abseits der Hauptstraße gab es nahezu keine befestigten Straßen, überall sammelten sich Berge aus Müll, sei es in den Straßen oder in den Flüssen, welche als Ausläufer des Nils das gigantische Kanalsystem versorgen, welches die fruchtbare Erde in den trockenen Sommermonaten bewässert. Überall stand nur halb fertiggestellter oder schon wieder einstürzende Bruch herum, bewohnt wurden diese Baracken dennoch, denn bei einem Bevölkerungswachstum von rund 2,5 % jährlich wird jede irgendwie bewohnbare Fläche genutzt. Die aus unserer Sicht untragbaren Zustände sind hier Normalität und bei dem Gedanken daran, das Ägypten noch eines der fortgeschritteneren Länder Afrikas ist, kann man schon mal ins Grübeln geraten.
Damit das Geschilderte wenigstens einigermaßen vorstellbar ist, gibt es auch ein paar bildliche Impressionen des Blickes aus dem Fenster.
Da die Bilder durch die etwas dreckige Scheibe entstanden und teilweise Screenshots aus Videos sind, kann die Qualität allerdings etwas abfallen.
Das Beförderungsmittel der normalen Bevölkerung sind solche Kleinbusse, die bei freien Plätzen auf Zuwinken die Fahrt verlangsamen, per Zuruf das Fahrtziel verkünden und bei Bedarf das Aufspringen ermöglichen.
Mehrere Ausläufer des Nils werden auf der Fahrt passiert. Nach etwa 40 Minuten Fahrzeit wird die 160.000 Einwohnerstadt Banha erreicht. Die Metropolregion zählt rund 2,5 Millionen Einwohner. Zunächst überquert der Zug einen Seitenkanal mit Hebebrücke.
Wenig später wird einer der Hauptarme des Nils auf einer großen Brücke überquert.
Die Armut ist überall präsent. Mit weniger als Nichts wird auf dem Bahngelände noch eine Runde Tee improvisiert.
Das Nildelta ist lückenlos besiedelt. Gigantische Häuserwüsten wechseln sich mit landwirtschaftlichen Nutzflächen ab. Nach anderthalb Stunden wird mal wieder eine der unzähligen Städte passiert. Asphaltierte Straßen sind hier allerdings die absolute Ausnahmen oder verschwinden unter einer Schicht aus Staub und Müll.
Immer wieder zweigen Nebenstrecken ab, welche von solchen Locals befahren werden. Ohne jeglichen Komfort werden diese Züge von der normalen Bevölkerung genutzt und sind meist heillos überfüllt, sodass zahlreiche Menschen aus den offenen Türen hängen oder vorn auf der Lok stehen.
Nach rund drei Stunden erreicht unser Zug Alexandria. Es ging durchaus zügig voran, teilweise gar bendenklich schnell für den heruntergekommenen Gleisbau. An den 100 km/h kratze der Zug das ein oder andere mal, wobei diese Geschwindigkeit von den Reisezugwagen nicht nur auf Weichenstraßen mit lautem Poltern und wildem Gerüttel quittiert wurde. Nicht selten kommt es gerade auf den noch bedenklicheren Nebenstrecken auch zu folgenschweren Entgleisungen. Nur an einer Stelle stand der Zug einige Minuten vor einem Ort herum und passierte anschließend glücklicherweise in langsamer Fahrt eine Baustelle.
Die Idee in Alexandria bereits am Bahnhof “Sidi Gaber” auszusteigen, an welchem die Raml-Bahn anschließt die direkt bei unserem Hotel endet, konnte ich gerade noch abwenden. Wer weiß wie lange diese Bahn von hier in die Innenstadt benötigt. Stattdessen nahmen wir auch die letzten Meter Strecke in dem nun deutlich geleerten Zug mit und verließen ihn am innenstädtischen Kopfbahnhof “Masr Station”.
Nach 25 Stunden Reise am Ziel angekommen: Willkommen in Alexandria
Die Bahnhofshalle der “Masr Station” ist ein durchaus prächtiger Bau und zeugt von den stolzen Zeiten der ägyptischen Eisenbahn im 19. und 20. Jahrhundert.
Einsteigen auf Ägyptisch: Ein Local wird rückwärts in den Bahnhof rangiert. Da die Türen ohnehin immer geöffnet sind, drängt die Masse bereits bei Einfahrt des Zuges durch die Türen in den Wagen, um noch einen Platz in den chronisch überfüllten Zügen zu ergattern. So hängt an jeder der Türen bereits eine Menschentraube, obwohl der Zug bis zum Stillstand noch gut 50 Meter zurücklegt.
Gezogen wurde unser Zug im Übrigen von einem deutschen Diesel. Auch wenn die Maschine auf den ersten Blick kaum nach deutschem Fabrikat aussieht, handelt es sich um eine 1988 bei Henschel in Kassel gefertigte Diesellok mit der Fabriknummer 32910.
Der Bahnhofsvorplatz befand sich gerade im Umbau, sodass wir mit den Koffern mehr oder weniger durch den Baustellensand den Bahnhof verließen. Wir erreichten das große Straßenrondell vor dem Bahnhof. Im Westen grenzt an das Rondell der Bahnhof, im Süden der große Basar, welcher von der Straßenbahn durchfahren wird. Im Norden eine der zwei großen Hinterlassenschaften der Römerzeit mit dem Anfitheater. Unser Ziel war allerdings zunächst unser Hotel unweit der Küstenlinie an der Station El Raml.
Eine der zwei großen Ausgrabungsstätten aus der Zeit der Römer unweit der Masr Station.
Zwischen unzähligen fliegenden Händlern schallen auch diverse “Taxi Taxi”-Rufe zu uns durch, allerdings verzichten wir lieber und nehmen den guten Kilometer zu Fuß in Angriff. Schneller sind die Taxen im innerstädtischen Verkehrschaos ohnehin nicht. Quer durch die Shoppingmeile für die etwas besser situierten Bewohner mit diversen Verschnitten europäischer Marken, erreichen wir schließlich das “Le Metropole”. Von überall schallen während des Weges die Rufe “Welcome to Egypt” oder “Hello my friend where are you from” zu uns herüber. Ob tatsächlich aus Freude, zwei der inzwischen selten gewordenen europäischen Besucher der Stadt ausgemacht zu haben, oder einfach nur auf Kundenfang für verschiendenste Dinge, seien es Kuhfüße, “echte” Rolexuhren oder Wandteppiche, ist nur schwer auszumachen und so ziehen wir stur weiter unseres Weges. Die “Welcome to Egypt”-Rufe sollten indes auch in den nächsten sieben Tagen unsere stetige Begleitung bleiben. Auch beim Hotel werden wir sofort als Touristen erkannt, man öffnet uns die Tür und reicht während der kurzen Wartezeit an der Rezeption feuchte Handtücher und ein Willkommenstrunk. Auf Letzteres verzichten wir ob der seltsam grünlichen Farbe dankend und kurze Zeit später führt man uns zu unserem Zimmer. Das Hotel “Le Metropole” versprüht noch den einstigen Glanz der reichen Hafenstadt Alexandria: Fünf Meter hohe Decken, pompös ausgeschmückt mit diversem Stuck. Die Wände sind mit riesigen Bildern und Teppichen ausgekleidet, die Türen muten wie Tore in die dahinter liegenden Gemächer an. Allerdings ist der ganze Glanz schon etwas heruntergekommen und schießt seine Besucher doch ein wenig in das Alexandria der heutigen Zeit zurück, welches von ärmlichen Märkten, dreckigen Gassen und bröselnden Hochhausfassaden dominiert wird. Immerhin, die Außenfassade des Hotels wird gerade saniert und dürfte bald wieder im alten Glanz erstrahlen, in dem Alexandrias Straßen von Bauten im Jugendstil, Art Deco und Historizismus des 19. und 20. Jahrhunderts geprägt waren. Mit dem Aufkommen des Kommunismus in den 50er und 60er Jahren verschwanden immer mehr dieser prächtigen Bauten und machten Platz für gigantische Plattenbauten. Die reiche Oberschicht verließ das kommunistische Land und mit ihr das Geld. Die Migrationsrichtung kehrte sich um: Kamen einst zahlreiche Europäer in das weltoffene und reiche Alexandria, verließen diese nun Ägypten, in dem ihre wirtschaftliche und soziale Sicherheit zunehemend gefährdet war und sich die Bevölkerung immer größeren Repressalien ausgesetzt sah. Heute ist das Alexandria von vor hundert Jahren nur noch an der Promenade zu erahnen, wo die prächtigen Bauten größtenteils überlebt haben, sich allerdings teils in kläglichem Zustand befinden.
Während wir zum Zimmer geführt werden, gehen die Koffer mal wieder ihre eignen Wege – echt nervig diese ständigen ungefragten Dienstleistungen für die dann hinterher die Hand aufgemacht wird – nicht das die paar Pfunde uns arm machen, aber ich trage meinen Koffer doch am liebsten selbst.
Mittlerweile ist es Mittag. Kurz werden für fünf Minuten die Beine ausgestreckt und sich ein wenig frisch gemacht, bevor es voller Tatendrang in das Leben von Alexandria, auf der Jagt nach den wohl abgerocktesten Straßenbahnen der Welt geht. Aber davon erzählt dann der nächste Teil, wenn es wieder heißt: “Welcome to Egypt”.
Tolle Erinnerungen lässt du da aufleben, deine Impressionen schildern so gut wie eins zu eins unsere Eindrücke vor nun schon wieder zwei Jahren.
Du hast dich zum Glück öfter getraut, auch die interessanten Motive während der Bahnfahrt zu dokumentieren. Da waren wir zumindest anfangs doch etwas ängstlicher.
Ich freue mich sehr auf die nächsten Beiträge.
Freut mich das Du eure Eindrücke wiedererkennst. Nicht zuletzt eure tollen Aufnahmen haben mich am Ende überzeugt, diese Reise zu machen!
Was das Fotografieren aus dem Zug angeht, so war das eigentlich völlig unproblematisch. Ich habe sowohl mit dem Smartphone gefilmt, als auch mit der DSLR fotografiert und niemand hat sich daran gestört.
Generell war das Fotografieren von offizieller Seite eigentlich nur vor staatlichen Einrichtungen, Banken und anderen bewachten Gebäuden schwierig. Da kam halt ab und an mal ein Beamter und wie’s uns mit “No Picture” darauf hin, ihn nicht zu fotografieren, woraufhin wir ihm verdeutlichten das er nicht das Objekt der Begierde war. Bei uns gab’s da nie Probleme wenn man sich nach kurzer Zeit vom Acker gemacht hat.
Als viel problematischer empfand ich die herumlungernden jungen Menschen rund um die Basare und großen Plätze, die sich immer ins Bild schmeißen um dann hinterher die Hand aufzumachen, oder anfangen sich um einen zu scharen… Meist ist das ganze nur Spaß, aber der Unterschied ist halt aufgrund der kulturellen und sprachlichen Differenzen schwer auszumachen…