Herbstliche Bergwelten IV: Kaiserwetter am Bernina zwischen Lagalb und Alp Grüm

Heute geht es gleich am Morgen hinüber an den Berninapass. Mit dem Rad soll der Tag zwischen Lagalb und Alp Grüm verbracht werden. Besonders im Fokus dabei natürlich die ABe 4/4 III. Wer weiß, wie lange die Triebwagen noch so planbar zum Einsatz kommen am Bernina.


Dienstag, 18. Oktober 2022

Nach einer super erholsamen Nacht hier oben in Savognin, sollte ich auch erstmals auf dieser Tour in den Genuss eines “richtigen” Frühstücks kommen. Hier sollte es bereits ab 7 Uhr Frühstück geben, wie man es sich besser fast nicht wünschen könnte. Denn einen Fixpunk gab es nach gestrigem Studium der Lokdienste am Bernina bereits: Den morgendlichen Bernina Express mit den ABe 4/4 III 52 und 55. Dieser hätte Abfahrt um 0920 in St. Moritz und entsprechend wollte ich den etwa eine halbe Stunde später irgendwo am Pass in der ersten Sonne abfangen.

Erstmal aber Frühstück. Die Größe des Buffets war aufgrund der eingeschränkten Nächtigungszahlen in der Nebensaison etwas eingeschränkt, es hatte aber schlussendlich doch alles, was es für ein reichhaltiges Frühstück braucht. Einzig nervig waren die beiden deutschen Monteure, die sich zur frühen Stunde ebenfalls schon zum Frühstück geschleppt hatten. Pausenlos waren die dabei, mürrisch über irgendwas zu grummeln und zu meckern. Irgendwann fingen die dann sogar an, seltsame Youtube-Videos mit noch seltsamen alternativen Theorien zu schauen, was in dieser Welt wirklich vor sich ginge hinter den Fassaden. Irgendwo müssen die fast 20% blau in einigen Bundesländern schließlich auch herkommen… Für mich war es damit jedenfalls Zeit aufzubrechen in der ansonsten sehr freundlich geführte Unterkunft, in der Preis/Leistung auf jeden Fall gestimmt hatte.

Draußen strahlte bereits wieder die Sonne die ersten Berggipfel an und ich startete die verbliebenen Kilometer hinauf zu Passhöhe. Etwas mühsam immer mit den baustellenbedingten Engstellen, aber ich hatte genügend Luft im Plan. Lustige Szene mal wieder, wie sich hinter Bivio noch ein zweiachsiger Kuoni-LKW vor mich auf die Passstraße schwang. Überall sonst würde man jetzt den ganzen Pass hinter dem her gurken. Diese Karren sind hier in den Bergen aber wirklich abartig motorisiert – ich sah den LKW nicht wieder. Mit dem Rad auf dem Dach räuber ich dann ja auch nicht übermäßig durch die Serpentinen, aber das Tempo des LKW-Lenkers war trotzdem beachtlich…
An der Passhöhe kurz ein obligatorischer Fotohalt, dann ging es auch schon wieder bergab, wenn auch weit weniger weit, als von Thusis aus bergauf, denn das Engadin liegt ja hier hinten auch auf fast 2000 Metern.


Die ersten Sonnenstrahlen streifen an der Passhöhe des Julier bereits die Bergflanken.


Schon geht es wieder bergab. Nach drei Jahren Pause endlich mal wieder zur RhB.

Durch St. Moritz durch lief es sogar mal fast flüssig. In Celerina fuhr ich dann von der Schnellstraße Richtung Pontresina ab, für einen kleinen Zwischenstopp am örtlichen Coop. Oben am Bernina gibt es ja schließlich nichts außer den Bahnhofsbuffets. Auch die vielen im Auto umherfliegenden Wasserflaschen konnten hier am Brunnen gleich noch gefüllt werden. Dann ging es die bekannte Bernina-Passtrasse hinauf. Recht viel Sonne war hier schon an den bekannten Motiven zu sehen. So ganz abzuschätzen ist das ja mit den Bergkanten nie, wann die Sonne wo an die Gleise kommt. Oberhalb der Montebello-Kurve war jetzt um halb zehn aber praktisch schon alles in der Sonne. Freie Auswahl also. So stellte ich das Auto dann gleich an der Lagalb-Seilbahnstation ab. Da die nur im Winter betrieben wird, wird man hier das Auto kostenneutral los – jedenfalls stört sich niemand daran wie es scheint. Das übliche Aufrüsten des Rades und schon ging es für das erste ABe 4/4 III-Doppel des Tages ins Motiv an der Bahnhofsausfahrt von Bernina Lagalb. Einfach nur schönste Herbststimmung war das hier wieder und es passte einfach alles bei der Zugdurchfahrt des Bernina-Express mit ABe 4/4 II 52 und 55 Richtung Tirano.


Man kann sich am Bernina ja fast nicht retten vor Motiven und auch um halb zehn lag schon fast alles irgendwie in der Sonne. So erwartete ich das erste ABe 4/4 III-Doppel des Tages aus 52 und 55 mit Bernina-Express Richtung Tirano an der Bahnhofsausfahrt von Bernina Lagalb.

Gab es eigentlich einen genaueren Plan für heute? Könnte ich jetzt so nicht behaupten. Einzige Aufgabe war es, die ABe 4/4 III-Doppel in den Lokdiensten etwas im Auge zu behalten, um keinen komplett zu verdaddeln. Ansonsten einfach die herrliche Bergwelt genießen und allmählich Richtung Alp Grüm voran arbeiten. Der Abschnitt oberhalb Lagalb bietet ja allein gefühlt schon Motive für einen ganzen Tag und so kam ich anschließend wieder nicht viel voran. Lag aber auch daran, dass von oben nun das erste ABe 4/4 III-Doppel aus Tirano an der Reihe war und dieses an der Nordrampe praktisch komplett im Gegenlicht fährt um diese Zeit. Einzige Möglichkeit vielleicht der Schlenker unterhalb der oberen Berninabachbrücke. Dort wollte ich es also jetzt versuchen und wurde beim gemütlichen zweiten Frühstück noch von einem Allegra von unten überrascht. Eigentlich hätte jetzt von oben ein Bernina-Express und anschließend der Regio mit dem ABe 4/4III-Doppel kommen sollen. Erst nach den beiden Zügen wäre in Gegenrichtung ein Regio dran gewesen. Auch nach mehrmaligem Nachsehen konnte ich nicht herausfinden, was denn der Regio von unten hier jetzt zwischen den beiden Talfahrern zu suchen hatte. Glücklicherweise fand mein Frühstück fast im Motiv statt, sodass ich gerade noch zur Kamera hechten und abdrücken konnte. Einen durch die mangelnde Vorbereitung ungünstigen Schatten, konnte Adobe dann im Nachhinein eliminieren.


Unterhalb der oberen Berninabachbrücke kommt überraschend ein Regio aus dem Nichts. Im ungefähren Stundentakt, den die Regios hier am Bernina normalerweise fahren, wäre da jetzt nichts dran gewesen und auch im Fahrplan konnte ich den irgendwie nicht finden. Der Regio muss etwa um 10:07 in Lagalb den Bernina-Express gekreuzt haben, der eben schon von oben durchkam. Fahrgäste schienen aber zumindest drin zu sitzen – sehr seltsam das Ganze.


Der von ABe 4/4 III 53 und 54 geführte Regio aus Tirano ist hier an der Nordrampe am Morgen wirklich schwer zu verarzten. Praktisch an der vorherigen Stelle einmal rumgedreht, funktioniert es hier unterhalb der oberen Berninabachbrücke aber zumindest einigermaßen mit Seitenlicht und Landschaft. Vor allem bekommt man hier auch mal die namensgebende Berninagruppe mit Zug ins Bild, was ja an gar nicht mal so vielen Stellen mit vernünftig Licht möglich ist.


Mit dem hatte ich dann wieder gerechnet: Der planmäßige Regio 4621 mit dem ABB-Allegra 3512 aus St.Moritz.

Das waren hier jetzt vier Züge in gerade einmal einer halben Stunde. Schon ordentlich, was hier in den Spitzenstunden so los ist auf der eingleisigen Strecke. Nur eine Viertelstunde entfernt war auch der nächste Bernina-Express aus St. Moritz. Ich radelte zur Straße hinauf und versuchte eine Perspektive von Straßenhöhe auf die obere Berninabachbrücke. Mit dem Ergebnis war ich dann aber nicht wirklich zufrieden, bei der momentanen Zugdichte war das aber auch kein Problem. Perspektivisch schon für den nächsten Bernina-Express aus Tirano, der dann mit ABe 4/4 III geführt wäre, verschob ich mich nun an die Mittagsperspektive der oberen Berninabachbrücke. Der morgendliche ABe 4/4III-Regio von eben wäre dort noch nicht gut im Licht gewesen, für den Bernina-Express am Mittag müsste es dann aber optimal stehen. Etwas ein Fragezeichen blieb im Nachhinein, warum ich mich von unten aus der Außenkurve an diese Stelle herankämpfte. Der Wander-/ Radweg führt, nachdem er die Berninabachbrücke unterquert hat, doch quasi genau am Motiv entlang. Richtig geärgert hätte mich dieser unwegsame Umweg, wenn ich nicht auch so noch genau auf die Sekunde pünktlich für die Dienstfahrt von zwei ABe 4/4 II im Motiv gestanden hätte. Da hatte ich jetzt in den Lokdiensten gar nicht drauf geachtet, ob sich das alte Doppel irgendwie bewegt heute. Sonst hätte es diese Riesenportion Glück nicht gebraucht und ich hätte mich natürlich rechtzeitig aufgestellt. Aber es war gerade noch einmal gut gegangen: Wie ich mich so aus dem kleinen Lärchenwäldchen unweit der Brücke herauskämpfte, tönte es dann oberhalb plötzlich in der Galerie. Ohne im ersten Moment zu wissen, was da jetzt kommt, hastete ich die letzten Meter natürlich intuitiv irgendwie ins Motiv. Es war einfach genau der passende Moment für die beiden ABe 4/4 II 46 und 47, die als Dienstfahrt von Poschiavo nach Pontresina durchorgelten.
Mit den nächsten beiden Regios wurde dann noch etwas an der Brücke variiert, bevor der Bernina-Express mit ABe 4/4 III durchkam, für den ich hier ursprünglich Stellung bezogen hatte.,


Es hätte heute kaum einen besseren Moment für das unerwartete Auftauchen der ABe 4/4 II 46 und 47 geben können. Die “nahe” Perspektive auf die obere Berninabachbrücke war einfach perfekt für den kurzen Zug. Ein riesen Glückstreffer, dass sich das hier zufällig um Sekunden ausgegangen war. Kaum auszudenken, wie groß der Ärger ansonsten gewesen wäre, in den Lokdiensten keinen Blick auf das Doppel geworfen zu haben.


Der Blick fällt dem Doppel noch hinterher auf dem Weg nach Bernina Lagalb und weiter Richtung Pontresina. Auch in den nächsten Tagen waren die beiden ABe 4/4 II mit Dienstfahrten aktiv, allerdings nur außerhalb fotografierbarer Zeiten. Das war wirklich ein Volltreffer.


Es folgte ein Allegra-Regio je Richtung. Für den Richtung Tirano wählte ich eine seitliche Ansicht auf die Brücke, bei der auch der in einem sonnigen Oktober nur kleine Berninabach zur Geltung kommt.


Eine Dreiviertelstunde nach den ABe 4/4 II, kam dann auch der Bernina-Express mit ABe 4/4 III 56 und 51 durch. Um diese Zeit praktisch das einzige Motiv an der Nordrampe, wo die Sonne perfekt steht. Dafür aber auch eine astreine Kalenderansicht. Die ABe 4/4 III wären damit auch schon komplett einmal abgelichtet für heute und der Fototag war nicht einmal halb vorbei.

Von unten nahte anschließend schon wieder das Regio-Doppel aus 53 und 54 – man kommt aber auch einfach nicht voran hier an der Strecke. An der Einfahrt in die Galerie unterhalb des Lej Pitschen stand die Sonne zwar noch etwas steiler als gedacht, aber es sollte schon irgendwie gehen. Viel Zeit, um sich noch weiter zu verschieben, ließ der Fahrplan dann auch einfach nicht. Nach diesem Doppel wäre dann aber erstmal etwas Luft und ich könnte mal bis zum südlichen Ziel am heutigen Tag durchfahren und einmal komplett den Lago Bianco passieren.


Die ABe 4/4 III 53 und 54 kommen mit ihrem Regio schon wieder aus St. Moritz zurück und fahren oberhalb der oberen Berninabachbrücke gleich in die Galerie unterhalb des Lej Pitschen ein. Wie sich einige Tage nach dieser Tour herausstellte, sollten es die letzten Wochen der klassischen Regio-Wagenzüge hinter den ABe 4/4 III sein. Ab dem Fahrplanwechsel zum Winter, sollen die Triebwagen aus den späten 80er-Jahren dann nur noch den Bernina-Express ziehen. Mal sehen ob es dann wirklich nachhaltig so kommt. Zu erklären wäre das ja nur durch den sonst fehlenden Niederflureinstieg an den Regios.

Nun konnte ich erstmals ein paar Kilometer am Stück fahren. Und die Piste hier an der Nordrampe und entlang des Lago Bianco ist auch wirklich toll. Es wird nur selten “richtig” steil und nie übermäßig grobschlächtig, sodass der Blick auch schon mal in die grandiose Landschaft schweifen kann. Und es zeigte sich auch mal wieder der große Vorteil im Herbst: Es ist einfach nicht mehr viel los. Das einzige Mal war ich bislang Ende Juli 2019 mit dem Rad hier am Bernina gewesen und das war einfach nur ätzend voll gewesen zwischen Bernina Suot und Alp Grüm. Viel zu voll, um Mountainbiker und Wanderer auf einer Strecke zu führen, wie es hier in den meisten Abschnitten der Fall ist. Besondere Plage waren hier die vielen (unerfahrenen) E-Biker, die sich für einen Tag irgendwo so ein Gerät leihen und dann völlig rücksichtslos durch die Gegend brettern, ohne Rücksicht auf Wandernde oder Bergauffahrende, die noch etwas tun müssen für die Höhenmeter und sich nicht von einem E-Motor die Piste hochziehen lassen. Jetzt im Herbst war die Situation allein dadurch, dass viel weniger Leute unterwegs waren, deutlich entspannter. Und gefühlt war jetzt zur “Nicht-Saison” auch der Anteil derer deutlich höher als zur Hauptsaison, die wissen, wie man sich auf solchen Wegen verhält, damit alle klarkommen und ihren Spaß haben. Kurzum: Nach dem Schock hier im Hochsommer 2019, war es heute einfach nur herrlich hinauf und entlang des Lago Bianco zu radeln. Heute wählte ich für Hin- und Rückweg die Route auf der Westseite des Sees, wobei jetzt auf der Hinfahrt ohnehin gerade die große Fahrplanlücke am frühen Nachmittag herrschte und entsprechend nichts Fotografierbares durchfuhr.

Mein Ziel war die Gerade unterhalb des Lago Bianco hinter der zweiten Galerie, schon kurz vor Alp Grüm. Mein Gefühl sagte mir, dass es dort eine riesige Lärcheninsel entlang der Bahn gibt und man die ganze Szenerie wunderbar vom Gegenhang ablichten können sollte. Mein Plan ging soweit auch auf, einen Strich durch die Rechnung machte mir aber das Wolkengewaber, dass sich hier südlich des Bernina-Massivs verfangen hatte. Es war nicht wirklich großflächig, aber die Wolkenklopper die herumhingen, waren dafür umso massiver. Und das Ganze waberte natürlich genau an meinem Motiv herum. Durch den Schatten wurde es hier im leichten Wind regelrecht kühl, sodass ich zum Mittagessen auch die dünne Jacke hervorkramte. Der folgende Allegra mit Regio hatte dann sogar gerade einen Moment mit Halblicht erwischt. Den Bernina-Express mit ABe 4/4 III wartete ich dann auch noch ab, Zeit zum Verschieben in die Sonne blieb eh nicht mehr. Dafür soff der dann aber endgültig im Nichtlicht ab. Kann halt doch nicht immer alles funktionieren…


Hinter dem Lago Bianco geht es wieder hinab zur Lärchengrenze. Exakt diese toll leuchtende Insel war auch Ziel meiner heutigen Route. Zuvor geht es allerdings noch ein Stück steil bergab.


Hinter der Kuppe wäre bereits Alp Grüm erreicht. Ich warte aber hier am Gegenhang auf die nächsten Züge, in der Hoffnung, einer möge nicht in den Wolken ersaufen, die genau über meinem Motiv an den Südflanken des Bernina-Massivs hingen.


Für Landschaftsaufnahmen war das immer wieder kurze Aufflammen der wärmenden Oktobersonne natürlich völlig ausreichend. Der Blick fällt hier hinab bis ins Val Poschiavo.


Der nächste Allegra Richtung Tirano verpasste einen Sonnenspot nur um wenige Meter. Als der Zug um die leichte Kurve rum war, wo er bereits passendes Seitenlicht gehabt hätte, war es schon wieder dunkel…

Hier jetzt weiter Zeit zu vergeuden und im Kalten zu warten, damit am Ende auch die nächsten Züge nicht klappen würden, war mir dann doch zu viel Lotterie. Schließlich hatte ich an der restlichen Strecke quasi Sonnengarantie heute. Also wieder zurück. Es begann jetzt auch wieder die Nachmittagsspitze am Bernina und da wollte ich noch so viel mitnehmen wie möglich. Das schöne jetzt auch am Nachmittag aus Alp Grüm kommend: Man fährt den Motiven mit Licht im Rücken entgegen. Problem natürlich: An dieser Strecke entdeckt man alle drei Meter ein Motiv 😀 Einen Zug je Richtung gab es quasi von unterwegs über den Lago Bianco gesehen. Zwei weitere am darunterliegenden Lej Nair. Diese folgenden Nachmittagsstunden waren wieder so ziemlich das Genialste, was einem bei der Bahnfotografie so passieren kann: Atemberaubende Landschaft, perfektes Herbstwetter, fotogene Züge und alle paar Meter ein Motiv. Drück irgendwem eine Kamera in die Hand und er hat gute Chancen, einfach nur durch Zufall ein Kalenderbild zu schießen 😀


Ein Regio mit Allegra hat Ospizio verlassen und rollt weiter Richtung Alp Grüm entlang des Lago Bianco.


Später hätte ich hier jetzt auch nicht langkommen dürfen, denn im Rücken drückten schon um kurz vor drei bei der Vorbeifahrt des Allegras bedrohlich die Schatten. Das andere Ufer hat zwar noch etwas länger Sonne, die Motive kommen dann ohne Vordergrund aber nur halb so gut.


Meine Piste am Westufer des Lago Bianco liegt im schönsten Nachmittagslicht und ich habe sie fast für mich allein. An den Hängen wandern langsam die Schatten Richtung See.


Am Nordende des Lago Bianco ziehen die ABe 4/4 III 55 und 52 einen Bernina-Express Richtung St. Moritz.


Eine Stufe tiefer geht es nördlich des Lago Bianco entlang des Lej Nair, der wie immer in einem viel dunkleren blau Auftritt. Die nördliche Mauer des Lago Bianco markiert dabei auch die Wasserscheide zwischen Inn-/Donausystem Richtung Schwarzes Meer und den letztlich in den Po mündenden Abflüssen Richtung Mittelmeer.


Noch einmal der Blick über den Lej Nair mit einem Allegra Richtung Tirano. Zwei bis drei Züge je Richtung und Stunde sorgen zwischen 15 und 17 Uhr für ordentlich Programm am Bernina und Mitte Oktober fällt diese Rush-Hour auch noch genau ins letzte Licht, bevor die langen Schatten drohen.


Ich bin nun schon am untersten der drei Seen, dem noch einmal deutlich kleineren Lej Pitschen angekommen. Der Blick fällt hier zurück Richtung Lago Bianco, der sich zwei Ebenen höher befindet.


Zweites “Wolkenopfer” des Tages wurde dieser Bernina-Express am Lej Pitschen Richtung St. Moritz. Am Hauptmotiv war es dunkel. Zuvor erwischte der Allegra aber neben dem Lej Nair noch einen kurzen Sonnenspot. Irgendwie gefiel mir dieser Blick auf den erleuchteten Allegra über den dunklen Lej Pitschen im Nachhinein.

Es galt nun schon genau zu überlegen, was in der wohl letzten Sonnenstunde noch anzufangen wäre, denn Züge hätte es reichlich. Aber alle an einer “sicheren” Stelle abzuwarten, wäre dann auch irgendwie langweilig. Nur mit den ABe 4/4 III sollte ich aufpassen, dass ich keinen versemmel. Oberhalb Lagalb, an der unteren Berninabachbrücke, kam erstmal ein Allegra mit Bernina-Express entgegen. Problem war hier weniger ein Bergschatten, als ein Wolkenklopper, der sich genau vor dem Zug herschob. Gerade noch so schob sich der Schatten weit genug aus dem Motiv, dass es auf jeden Fall für den Fernblick reichte. Die Nahaufnahme auf die untere Berninabachbrücke wäre dann vielleicht etwas für den nächsten Bernina-Express mit ABe 4/4 III, der schon in einer halben Stunde, etwa um Viertel vor fünf Lagalb passieren würde. Da würde es dann wohl auch mit dem Bergschatten eine ganz knappe Nummer werden. Bis dahin würde aber auch noch ein Regio je Richtung kommen. Ich jagte daher noch mal ein Stück weiter die Piste hinunter, um einen Blick um die Ecke nach Diavolezza zu werfen. Ergebnis: Hier ist alles schon dunkel. Also nichts wie zurück, denn die Regio-Kreuzung in Lagalb wäre schon um kurz nach halb fünf. Das Rad an der schmalen Holzplankenbrücke neben der Bahnstation abgelegt, schnell zu Fuß drüber und auf einen Hügel nördlich der Kreuzung Lagalb, wo man gleich in beide Richtungen perfekt schießen kann. Es ging sich vielleicht um eine Minute aus – die kurze Kraftanstrengung war also mehr als angebracht gewesen.


Neben der unteren Berninabachbrücke warte ich auf einen Bernina-Express Richtung Tirano, der eine Wolke genau vor sich herschiebt. Den Blick auf die Brücke selbst würde ich dann in einer halben Stunde mit dem nächsten Bernina-Express mit ABe 4/4 III-Doppel noch einmal probieren. Könnte der perfekte Tagesabschluss werden, wenn dann anstelle des Wolkenschattens nicht schon der Bergschatten zur Stelle ist. Dazwischen ist in einer Viertelstunde noch die Regio-Kreuzung in Lagalb – an Zügen mangelt es hier zum besten Licht wirklich nicht – fast schon Stress 😀


Mit einem kurzen Blick um die Ecke nach Diavolezza machte ich es mir aber auch selbst schwer. Aber ich wollte wenigstens einmal nachsehen, wie es dort mit den Schatten aussieht. Gar nicht gut! Also schnell zurück, die Piste hinauf nach Lagalb.


Auf einem kleinen Hügel an der oberen Bahnhofsausfahrt kann man in Lagalb gleich in beide Richtungen schießen. Ein klares Highlight des Tages dabei natürlich die Einfahrt des ABe 4/4 III-Doppel aus 53 und 54 an der Bahnhofseinfahrt unterhalb der unteren Berninabachbrücke. An so einem Top-Motiv noch einmal einen klassischen ABe 4/4 III Wagenzug zu erwischen, ist jetzt im Nachhinein besonders schön, wo diese Kompositionen mit dem Fahrplanwechsel wohl vor dem Aus stehen. Oben am Berg ist auch die namensgebende Bergstation Lagalb zu erkennen, die bereits von einer dünnen Schneeschicht umgeben ist.


In Gegenrichtung verlässt Sekunden später der ABB-Allegra 3512 mit einem Regio Bernina Lagalb Richtung Tirano.

Nun also noch den in einer Viertelstunde folgenden Bernina-Express mit ABe 4/4 III an der unteren Berninabachbrücke. Das würde wirklich eine ganz knappe Nummer werden mit dem Bergschatten. Die Station Lagalb versank jetzt bereits im Schatten und es wären noch 15 Minuten. Mehr tun, als ins Motiv stehen und abwarten, könnte ich aber eh nicht. Langsam wanderte der Schatten von Lagalb immer weiter die nur wenigen hundert Meter Richtung Berninabachbrücke. Dann tauchte hinten unterhalb der Station endlich der Bernina-Express auf. Zum Glück keine Kreuzung jetzt, da könnte er einfach durchfahren. Und das musste er auch, damit es sich noch ausging. So gerade eben passte noch exakt der gesamte Zug in den Sonnenspot an der Brücke. Perfekter Tagesabschluss!


War das wieder spannend zum Tagesabschluss. Aber es ging sich perfekt aus an der unteren Berninabachbrücke: ABe 4/4 III 52 und 55 mit dem späten Bernina-Express um Viertel vor fünf kurz hinter Bernina Lagalb.

Das war’s, der letzte Vorhang war gefallen für heute. Erfüllt von diesem abermals genialen Tag ging es die letzten Meter hinüber zum Auto und dann die lange Südrampe des Bernina hinunter. Denn einquartiert hatte ich mich für die nächsten zwei Nächte im kleinen Ort Stazzona, unweit von Tirano. Es gab im Engadin schlichtweg selbst für Schweizer Verhältnisse mal wieder nichts Bezahlbares. Selbst mit den Fahrtkosten war es in Italien noch deutlich günstiger und Zeit zum Fahren hat man im Herbst druch die lange Dunkelheit ohenhin genug. Noch dazu lag dann für diue Südrampe Tirano ohnehin günstiger.

Die umliegende Berwelt am Pass lag bei der Talfahrt teilweise noch im schönsten Abendlicht und leuchtete in bunten Farben – ein unvergesslicher Anblick, den es so nur im Herbst gibt.


Da kann man sich kaum auf die Straße konzentrieren, wenn der Blick an der Südrampe des Bernina in solche Landschaften fällt.

In Poschiavo besorgte ich mir kurz vor Ladenschluss im Coop noch ein reichhaltiges Abendessen und stand noch mal kurz auf den Bahnhof um zu schauen, was so los ist. Die beiden Hofhunde Ge 2/2 161 und 162 standen wie immer am Güterverschub, um den kurzen abendlichen Zügen noch ordentlich Güterlast beizustellen. Diese beiden 1911 gebauten Urviecher sind inzwischen auch schon lebende Fossile. Wann die wohl mal abgelöst werden? Bei der restlichen RhB sind ja auf dem Wechselstromnetz in den vergangenen zehn Jahren so gut wie alle dieser Uralt-Hobel, ob Diesel oder Elektrisch, selbst aus den letzten Güteranschlüssen verschwunden. Irgendwie freut man sich aber jedes Mal wieder, diese beiden noch quicklebendig in Poschiavo oder Tirano anzutreffen.

An der Grenze schienen sie heute irgendwen zu suchen, jedenfalls staute es sich gut 20 Minuten hinab nach Italien. Mit der kompletten Urlauberausrüstung war ich aber nicht weiter interessant für die Grenzer und durfte ohne Halt passieren. Schwieriger wurde es da, in dem kleinen Bergdorf unweit von Tirano die Unterkunft zu finden, denn es handelte sich nicht um ein Hotel, sondern nur um ein Apartment ohne Frühstück. Warum nennen die sich neuerdings, wie in diesem Fall auch, eigentlich immer häufiger B&B, wenn sie doch genau das nicht sind? Egal, bei meinen Reisezeiten genau das Richtige, aber aufzufinden sind diese Unterkünfte immer wieder sehr schwierig. Ich stellte das Auto also mal italienisch irgendwo an der verwinkelten Ortssraße ab und startete eine Erkundung rund um die von booking.com ausgegebene Adresse. Auch seltsam: Ich hatte von der Unterkunft über booking.com eine Mail bekommen, mich irgendwo online einzuchecken. Spannend, was diese Seite, bei der man einchecken sollte, so alles wissen wollte, ohne das so wirklich klar war, was denn da passiert mit den Daten. Das habe ich also mal geflissentlich ignoriert. Trotzdem erhielt ich unzählige Mails mit einem Zugangscode zur Unterkunft. Auch schön, allerdings müsste ich selbige erstmal finden. Beim zweiten oder dritten Suchlauf fand ich dann eine Ecke weiter als auf der Karte jemanden an der Straße herumstehen. Der sprach sogar englisch und war auch gleich der Vermieter, der wohl auf mich gewartet hatte. Na umso besser! Er habe auch versucht mich heute anzurufen, wohl um mir das Zugangs-Procedere zu erklären. Blöd nur, dass meine Nummer bei booking nicht immer auf die letzte Ziffer passt – muss ja nun wirklich nicht jede windige Unterkunft vom Balkan bis Portugal meine Mobilnummer kennen 😉 Ende der Geschichte war jedenfalls: Das Zahlenschloss am Haupteingang wurde schlicht durch das Nicht-Schließen dieser Tür umgangen und der Code für meine Zimmertür war ein anderer, als jener, welcher mir heute gefühlt zehnmal per Mail geschickt wurde. Schon ganz lustig das Ganze. Aber der Mann war italienisch freundlich und um seine Gäste bemüht und das alte Haus in dem Bergdorf komplett kernsaniert und mit mehreren Gästezimmern ausgebaut. So gesehen eine wirklich schöne Unterkunft, wenn man kein Frühstück braucht – und sie erstmal gefunden hat… Bei den aktuellen Folgen von Deville und Willkommen Österreich schlemmte ich mich durch das reichhaltige Abendessen aus dem Coop. Selbst wenn auch die Versorgungslage über den Tag aus dem Rucksack meist mehr als üppig ausfällt, kann man nach diesen Gewalttouren am Abend gefühlt immer noch einmal den Kalorienbedarf eines ganzen Tages nachfüttern. Obwohl die Tour heute ja gar nicht wild war: Vielleicht 30 Kilometer und kaum Höhenmeter zwischen Lagalb und Alp Grüm…


Blick aus meiner Unterkunft im kleinen Bergdorf Stazzona bei Tirano.

Was sich nun zum Dienstagabend auch langsam abzeichnete: Am Freitag würde das Wetter über die Landesgrenzen hinweg, nördlich und südlich der Alpen wohl komplett abschmieren. Mal schauen, ob es sich da noch lohnt zu bleiben. Für den morgigen Mittwoch war aber noch einmal komplettes Kaiserwetter angesagt. Und das Ziel für Morgen: Die Bernina-Südrampe von Cavaglia aus.

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