Heute bleibt mir erstmal ein ganzer Tag, um mich etwas mit dem Rīgaer Straßenbahnnetz bekannt zu machen. Am Vormittag sollen sogar noch einige Sonnenstrahlen die Stadt erreichen, bevor am Mittag der Dauerregen einsetzt und das Fotografieren zunehmend zur Wasserschlacht werden lässt.
Pünktlich um viertel vor acht wurde, wie am Vorabend geklärt, das Frühstück auf dem Zimmer serviert. Die Corona-Maßnahmen waren in Lettland – noch oder wieder – trotz niedrigerer Inzidenz deutlich strenger als in Deutschland, wobei auch die Impfquote noch deutlich unter der deutschen lag. So galt in der Gastronomie in Innenräumen konsequent die 3G-Regel. Um Einschränkungen und Kontrollen zu vermeiden, wurde das Frühstück im Hotel Justus daher kurzerhand auf dem Zimmer serviert. Das Hotel im Süden der Altstadt kann ich jedenfalls uneingeschränkt empfehlen. Gemütliche, großzügige und komfortable Zimmer, ein modernes Bad, ruhige Lage und zuvorkommendes Personal. Und das ganze bei einem Preis von 35€ für das Einzelzimmer – absolut top! Von dieser günstigsten Zimmerkategorie gibt es allerdings nicht viele, weshalb ich nach dem Abstecher nach Daugavpils die weiteren Nächte in Rīga von Samstag bis Dienstag nicht erneut hier einchecken konnte.
Das Frühstück war ein typisches Hotelfrühstück. Nichts Besonderes, aber umfangreich und auch nicht schlecht. Vor dem Fenster war es aber erschreckend hell, sodass ich nicht viel Zeit vertrödeln durfte, waren die für heute prognostizierten Sonnenstunden doch eher im Minutenbereich. Einziger Nachteil am Frühstück auf dem Zimmer war, dass sich das winzige Tässchen Kaffee nicht nachfüllen ließ. Von der dargebotenen Menge an Koffein waren die Rezeptoren jedenfalls noch nicht davon überzeugt, den Körper in den Wach-Modus zu versetzen.
Am nächsten Platz gab es aber einen Costa, wo ich mir noch einen Cappuccino für den Weg zur Tram genehmigte. Noch hatte ich das dichte Gewirr aus Gassen in der Altstadt nicht richtig entschlüsselt, sodass ich heute einfach mal Kurs Südwesten durch das Labyrinth hielt, bis ich auf Schienen traf. Heraus kam ich unmittelbar an der Haltestelle 13. janvāra iela in der großen Schleife südwestlich der Altstadt. Als Gesamtübersicht nochmal das Liniennetz von Rīga:
Liniennetz der Straßenbahn Rīga im August 2021 mit den Linien 1, 2, 5, 7, 10 und 11. Zusätzlich waren mit wenigen täglichen Fahrten die Verstärkerlinien 3 Jugla – Ķengarags und 9 Ķengarags – Aldaris ausgehangen, die während meines Besuches eventuell wegen den Ferien aber nicht verkehrten.
Die Linien 2 und 10 wenden hier vom anderen Ufer der Daugava kommend im Uhrzeigersinn und enden und starten offiziell an der Haltestelle Centrāltirgus. Die Linie 5 befährt die nördliche Strecke der Schleife über die Haltestelle 13. janvāra iela, während die Linie 1 die Strecke südlich der Bahn über Centrāltirgus/Prāgas iela nimmt.
Als einzige Linie fährt die Linie 5 am Centrāltirgus vorbei und nimmt stattdessen die Strecke nördlich der Eisenbahn über die Haltestelle 13. janvāra iela (abgesehen von der Linie 11, die hier garnicht entlang kommt). Dort halten am Morgen die T3SU 30242+30253.
In Gegenrichtung erreichen T3SU 30329+30331 die Haltestelle 13. janvāra iela. Das geht doch fast als erstes Sonnenbild in Rīga durch.
Die Linie 10 wendet genau wie die Linie 2 im Uhrzeigersinn über 13. janvāra iela und Centrāltirgus. Obwohl die offizielle Endhaltestelle am Centrāltirgus ist, genehmigen sich die Bahnen der Linien 2 und 10 nicht selten an der Haltestelle 13. janvāra iela eine kurze Pause, da hier nur die drei selten fahrenden Linien 2, 5 und 10 entlangkommen. Am Centrāltirgus werden die Bahnen derweil durch die häufig fahrenden Linien 1 und 7 aus der Haltestelle geschoben.
Auch die Linie 2 begegnet mir hier ein erstes Mal. Diese wird von den T6B5SU bedient, hier von dem Doppel 35272+35283.
Es geht im Uhrzeigersinn weiter zum Centrāltirgus. Der vierteilige Skoda 15T 58066 hat soeben als Linie 1 die Bahnstrecke unterquert und erreicht nach einer weiteren 90-Grad-Kurve die Haltestelle Centrāltirgus. Die Haltestelle in Gegenrichtung befindet sich rechts unmittelbar an der Brücke und hört abweichend auf den Namen Prāgas iela.
Für das Nationaltheater rechnete ich jetzt am Vormittag mit dem passenden Sonnenstand, sodass ich die nächste Linie 7 dorthin enterte, bevor das Sonnenlicht wieder endgültig verschwunden wäre. Dort angekommen wurde das Licht bereits merklich schwach, aber für einige helle Aufnahmen reichte es noch. Anschließend lief ich die lange haltestellenlose Strecke bis zur Oper zurück und nahm noch ein paar Bahnen auf dem Aspazijas bulvāris auf.
T6B5SU 35217+35228 kreuzen vor dem Nationaltheater die vom Trolleybus befahrene Krišjāņa Valdemāra iela auf dem Weg nach Ķengarags.
Wenig später folgt das T3SU Doppel 30188+30211 als Linie 5 nach Iļģuciems. Die Straßenbahn hat wie im gesamten Netz auch hier beim Kreuzen der zentralen Innenstadtstraßenachse keine Vorrangschaltung. Kommen wiedermal mehrere Linien auf einmal, bilden sich durchaus kurze Staus, die von einer Ampelphase nicht abgefertigt werden können.
Wir folgen dem Aspazijas bulvāris zurück Richtung Oper und sind wieder am irgendwie faszinierenden 50m-Zebrastreifen am Brīvības laukums. Die Szenen, wie die Fußgänger noch ganz gelassen vor den heranrollenden Bahnen die Straße überqueren sind schon ein wenig ungewohnt. Mit T6B5SU 35076+35087 gelang ungeplant dieses Symbolbild mit dem gelben M 😉
Auch an der Nationaloper, hier rechts hinter mir, gibt es wieder einen Zebrastreifen über die Gleise, wenn auch deutlich schmaler. Die Seitenfassade des Kempinski haben wie gestern Abend schon im Dunkeln gesehen, hier nun mit T6B5SU 35054+35065 bei Tageslicht, der mich anschließend von der Haltestelle Nacionālā opera eine Station weiter zurück zum Centrāltirgus bringt.
Zwischen dem Autoosta (Busbahnhof) , der gigantischen neuen Mall und dem Centrāltirgus überqueren T6B5SU 35098+35108 den Stadtkanal “Pilsētas kanāls”. Dieser zweigt westlich des Centrāltirgus von der Daugava ab und schlägt einen großen Bogen östlich der Innenstadt durch den Kronvalda parks, um am Jacht- und Passagierhafenbecken nördlich der Innenstadt wieder in die Daugava zu münden.
Zunehmend siffte es sich jetzt ein. Die Idee, ein Stück die Linie 2 hinauszufahren verwarf ich angesichts der Tatsache, dass die letzte 2 gerade erst abgefahren war und für die nächste Stunden nur zwei Fahrten anstanden. Stattdessen sprang ich auf die nächste 7 Richtung Ķengarags auf. Eine kurze Bildrecherche hatte ergeben, dass diese auf dem Weg nach Ķengarags in der etwas heruntergekommenen Moskauer Vorstadt die typischen lettischen Holzhaus-Kulissen passiert. Weit musste ich nicht fahren, schon rund um die Haltestelle Katoļu iela begannen die so typischen Straßenzüge. Dort biegt die Linie in die Maskavas iela ein, der sie die nächsten fünfeinhalb Kilometer bis zur Endstation folgen wird, zunächst in pittoresker Umgebung, wobei unter anderem auch eines der zwei großen Depots an der Haltestelle Lubānas iela passiert wird.
Nach einer kurzen Fahrt durch’s Grüne rund um die großzügige Anschlussstelle der A6, erreicht die Linie 7 wieder urbanes Gebiet und taucht in die Straßen der Moskauer Vorstadt ein, hier noch geprägt von heruntergekommenen Betonbauten. T6B5SU 35217+35228 haben die Haltestelle Katoļu iela vor dem Häuserblock verlassen und rollen Richtung Centrāltirgus und Ausekļa iela.
Schon bald zeigen sich entlang des großzügigen Parks “Maskavas dārzs” die typsichen Holzbauten mit den abdenteuerlichen Kopfsteinpflasterstraßen, wie sie in ganz Rīga abseits der großen Einfallsachsen zu finden sind. T6B5SU 32134+32145 unweit der Haltestelle Aiviekstes iela Richtung Innenstadt.
In Gegenrichtung nach Ķengaragas rollt das T6B5SU-Doppel mit 35250 an der Spitze durch die Maskavas iela.
Im großen Depot an der Lubānas iela warteten noch unzählige T3SU-Doppel auf weitere Aufgaben.
Auf der Linie 7 fahren hingegen ausschließlich T6B5SU-Doppel. Hier rumpeln 35217+35228 auf der Maskavas iela über die Depotzufahrt.
Hinter dem Depot beginnen auf der Maskavas iela bereits wieder die heruntergekommenen Betonbauten aus sowjetischer Zeit. Bei zunehmender Dunkelheit rasen T6B5SU 35098+35108 unweit der Haltestelle Atpūtas centrs Lido Richtung Innenstadt.
Nach den ersten drei Kilometern auf der Maskavas iela, wandelt sich das Bild hinter der Haltestelle Krasta masīvs an der ausladenden Anschlusstelle der A2 grundlegend. Aus der ruhigen Kopfsteinpflasterstraße mit der Straßenbahn auf der Fahrbahn, wird eine breite, vierspurige Ausfallstraße mit separatem Bahnkörper in Straßenmitte – eine typische Plattenbaustrecke, wie man sie aus allen ehemaligen Ostblockländern kennt. Fotografisch gab das für mich bei diesem Siffwetter nicht viel her, sodass ich die letzten zweieinhalb Kilometer der Strecke durch die Plattenbauviertel ohne Halt bis zur Endstation durchfuhr. Diese liegt fast schon idyllisch im Grünen an eine kleine Bude und an Kleingärten angrenzend – wäre da nicht die vierspurige Ausfallstraße und die Plattenbauten auf der anderen Straßenseite…
Der Blick in die Endschleife Ķengarags lässt es kaum vermuten, aber diese liegt in Mitten einer großen sowjetischen Plattenbausiedlung, der die Linie 7 ihre dichte Taktung verdankt. Von der Schleife seitlich der vierspurigen Ausfallstraße zweigt die Strecke direkt auf den eigenen Bahnkörper in Straßenmitte ein und startet von der Haltestelle Eglaines iela ihre Fahrt in die Innenstadt. Hier bricht das Doppel mit T6B5SU 35127 an der Spitze zu einer neuen Runde auf.
Von der Schleife Ķengarags ging es anschließend ohne Halt zurück zum Centrāltirgus. Im hinteren Wagen stehend, hat man dabei dank der großen und hohen Fenster bei den T6B5SU, einen genialen Streckenblick aus dem Heckfenster.
Inzwischen war es dann auch schon Mittag geworden und Zeit für einen kleinen Imbiss. Da bot sich der Centrāltirgus natürlich an und ich schlenderte ein wenig durch den zentralen Markt, der sich über die vier riesigen Hallen und eine nochmals so große Außenfläche erstreckt. Unglaubliche 72.300 m² ist der Markt heute groß und gilt damit als der größte Lebensmittelmarkt Europas. Die heute so charakteristischen vier Haupthallen des Marktes wurden nach dem ersten Weltkrieg errichtet. Dabei handelte es sich nicht um Neubauten, sondern um die ehemaligen Hangars des Luftschiffhafen Vaiņode. Aus den oberen Segmenten der dortigen zwei großen Hallen, entstanden in Rīga die heutigen vier Haupthallen des Centrāltirgus. Mit der Straßenbahn lassen sich diese besonders gut am späten Abend umsetzen, sodass sich die Motive am Centrāltirgus dann in einem späteren Teil mit dem einzigen sonnigen Abend in Rīga wiederfinden werden. Zunächst sollte mir der Markt mal in seiner eigentlichen Funktion als gigantische Lebensmittelquelle dienen. Mit einem Käsegebäck und einem kühlen Getränk verließ ich einige Zeit später das Labyrinth aus Marktständen bei einsetzendem Nieselregen und beschloss, nun als nächstes die Linie 10 mit den T3SU-Doppeln zu erkunden. Der nächste Kurs auf dieser dünn befahrenen Linie war noch einige Minuten entfernt, sodass noch genügend Zeit zum aufessen blieb. Mit dem nächsten Kurs ging es dann aber mit.
Die Linie 10 nach Bišumuiža wendet in der Innenstadt im Uhrzeigersinn über die Haltestellen 13. janvāra iela und Centrāltirgus und führt anschließend parallel mit den Linie 1, 2 und 5 über die große Akmens tilts über die Daugava. Vorbei an der neuen, 2014 eröffneten Nationalbibliothek geht es zur Haltestelle Slokas iela, wo die Linien 1, 2 und 5 nach Norden auf selbige abbiegen und nur die Linie 10 weiter geradeaus dem Uzvaras bulvāris folgt. Vorbei an dem gigantischen sowjetischen Soldatendenkmal verläuft die Linie am Rande der großen Grünanlagen des Uzvaras parks und Arkādijas parks und überquert anschließend die Bahnstrecke an der Station Torņakalna. Die gesamte Strecke mutet dabei schon ab den Parkanlagen sehr dörflich an, was sich auch bis zur Endstation nicht mehr ändern sollte. Bei zunehmend strömendem Regen bleib mir zunächst allerdings nicht viel mehr, als mir potentielle Stellen zu merken. Erst an der Haltestelle Telts iela verließ ich das T3SU-Gespann wieder. Dort befindet sich eine große rechteckige Umfahrung eines Friedhofes und dem direkt daran angrenzenden kleinen Depot an der Āpšu iela. Das Depot scheint für den täglichen Betrieb nicht mehr relevant zu sein. Hauptsächlich standen hier jede Menge T3SU und Arbeitswagen abgestellt. Kaum war ich aber ausgestiegen, erschien in der Umfahrung stadteinwärts der Wasserwagen 88034, der aus einem T6B5SU umgebaut wurde. Angesichts des einsetzenden Dauerregens war das natürlich schon ein reichlich kurioser Auftritt, denn einer extra Bewässerung der Schienen bedurfte es nun wirklich nicht mehr. So war das Wasser auch abgeschaltet, vielleicht kann der Wagen ja auch Wasser für trockene Tage aufsaugen 😀
Sprengwagen 88024 passiert in der Blockumfahrung die Haltestelle Vienības gatve/Bērnu slimnīca. Hinten rechts zweigt die Zufahrt zum Depot ab.
Wenig später erreicht auch der nächste stadtwärtige Plankurs die Haltestelle.
Da der nächste Kurs stadtauswärts nun noch rund zwanzig Minuten auf sich warten lassen würde, stapfte ich die Strecke eben zu Fuß weiter bis zur übernächsten Haltestelle Skaistkalnes iela. Unmittelbar hinter der Blockumfahrung wird die Strecke dann auch eingleisig und bietet erst an der Haltestelle Skaistkalnes iela wieder eine Kreuzungsmöglichkeit, wo ich dann, inzwischen zunehmend durchnässt, den nächsten Kurs enterte.
Blick auf die typischen, etwas skurril anmutenden Arbeitsfahrzeuge im Depot in der Blockumfahrung.
Von der Kreuzungsstation Skaistkalnes iela fällt der Blick zurück durch den Baumtunnel auf den nächsten Kurs stadtauswärts mit den T3SU 30830+30841.
Es goss jetzt wirklich in Strömen und sollte auch den ganzen Tag nicht mehr aufhören. Ich rumpelte daher über die ausgeschlagenen Ausweichen der bis zum Ende nurmehr eingleisigen Strecke weiter bis zur Endstation. Dort beobachtete ich von Außerhalb für einen kurzen Moment den Kampf der Fahrerin mit der Stange, an der irgendetwas nicht zu gefallen schien, bevor ich schnell wieder ins Innere hechtete und mir selbiges etwas genauer ansah.
In der Endschleife Bišumuiža kämpft die Fahrerin mit der Stange des T3SU 30830.
Die Innenausstattung der gesamten Tatraflotte ist nahezu identisch mit durchgehender, für Fahrzeuge des ehemaligen Ostblocks eher ungewöhnlichen 1+2 Bestuhlung. Die allesamt modernisierten Tatras verfügen inzwischen über jeweils zwei Doppelbildschirme für das Infotainment mit Haltestellenanzeigen und -Durchsagen. Unabhängig davon agiert die akustische Türschließwarnung, sodass über Haltestellenansagen oder Corona-Verhaltenshinweisen gern mal ein “Uzmanību, durvis aizveras” mit anschließendem Warnsignal schallt.
In den T3SU zeigt sich noch die typische runde Formgebung der 60er Jahre, auch wenn die noch eingesetzten Exemplare deutlich jünger sind.
Auf der Rückfahrt stieg ich dann erst wieder an dem großen sowjetischen Denkmal aus, um mir dieses noch einmal aus der Nähe anzusehen. Allein die gigantischen Dimensionen sind dabei irgendwie eindrucksvoll und lassen sich auf Fotos mit menschenleerer Umgebung gar nicht richtig festhalten.
Kriegsdemkmal des 2. Weltkieges am Uzvaras parks.
Aus etwas größerer Entfernung werden die monumentalen Ausmaße des Denkmals deutlicher.
Auch mit den Bahnen der Linie 10 im Vordergrund werden die Dimensionen des Monuments ersichtlich, hier ein Zug bestehend aus T3SU 30002+30013.
Die Jacke war inzwischen trotz Regentauglichkeit gut durchnässt und frisch wurde es bei diesem nasskalten Wetter auch langsam, standen doch trotz August kaum 15 Grad auf dem Thermometer. Ich fuhr also noch über die große Brücke und flüchtete mich dann erstmal für ein Stündchen ins Hotel. Glücklicherweise hatte ich noch eine zweite Jacke im Koffer, sodass ich die nasse Jacke über die praktische Handtuchheizspirale im Bad hängen konnte und mit zusätzlichem Pullover, neuer Jacke und trockenen Socken zu einer weiteren Fotosession aufbrach. Bei so viel Regen ist es dann ja schon fast wieder stimmungsvoll, aber irgendwie war es auch einfach nur unangenehm nasskalt. Weit kam ich daher nicht, sondern versackte noch in der Altstadt bei Double Coffee auf einen Americano und ein Stück Käsekuchen. Unter dem Vordach saß ich angenehm trocken und windgeschützt und befasste mich ein wenig mit der strategischen Planung der weiteren Reise. Besonders im Osten war Morgen bereits ab Mittag zunehmen mit Auflockerungen zu rechnen. Das schrie praktisch nach Daugavpils. Den regnerischen Vormittag würde ich dann ohnehin mit der Fahrt im Morgenzug dorthin verbringen. Also schonmal ein Hotel direkt am Bahnhof Daugavpils und ein Ticket für den 07:31-Uhr-Zug ab Rīga gebucht.
Schon war der Americano ausgetrunken und ich schlich durch den Regen etwas planlos Richtung Theater, wo ich ein Motiv im Kopf hatte, was sich als perspektivisch nicht umsetzbar herausstellte. Wenigstens gab es an der Haltestelle stadteinwärts aber ein Gebäude mit großem Vordach, unter dem ich trocken stehend ein paar Bahnen auf dem klitschnassen Vorplatz des Theaters mitnahm.
Wiedermal kommen auf der Strecke zur Zwischenschleife Ausekļa iela alle drei Linien dicht hintereinander. Auf T3SU 30242+30253 als Linie 5 folgen T6B5SU 35217+35228 als Linie 7 und 15T 57550 als Linie 11.
Im Anschluss schnappte ich mir den von der Schleife Ausekļa iela zurückkommenden 15T 57550 der Linie 11 und fuhr einfach mal die gesamte Linie bis Mežaparks ab. Bei so viel Regen und der langen Fahrt bleibt doch an dieser Stelle noch ein wenig Zeit für ein paar Zeilen über den Rigaer Wagenpark, wo doch gerade so eine schöne Fahrzeugparade an mir vorbeigezogen war.
- Mit rund 100 verblieben Fahrzeugen für den Einsatzbestand stellen die klassischen T3SU nominell noch immer den größten Anteil am Fahrzeugpark. Von der einst noch deutlich größeren Flotte, stehen heute ausschließlich noch die nach der 1999 begonnenen Modernisierung offiziell als T3A bezeichneten Fahrzeuge im Einsatz. Rund die Hälfte der rund 200 modernisierten T3SU wurden bereits abgestellt. Für den täglichen Auslauf werden allerdings kaum mehr annähernd die 50 vorhandenen Züge benötigt, bedienen die T3SU-Doppel doch ausschließlich noch die selten fahrenden Linien 5 und 10. Tatsächlich dürften damit noch maximal rund 20 Züge täglich im Netz unterwegs sein. Die noch eingesetzten Fahrzeuge stammen aus den späten 70er und frühen 80er Jahren.
- Von 1988 bis 1990 erhielt Rīga insgesamt 62 T6B5SU, von denen ab 2005 30 Fahrzeuge modernisiert wurden und offiziell die Bezeichnung T3MR erhielten. Diese 15 Züge stehen noch heute im Einsatz und bedienen ausschließlich die Linien 2 und 7.
- Ab 2010 erhielt Rīga mit dem Škoda 15T die ersten Niederflurwagen, mit denen auch die ersten Linien auf den Betrieb mit Pantografen umgerüstet wurden. Bis 2011 wurden 20 dreiteilige Fahrzeuge ausgeliefert. Im Jahr 2012 folgten sechs vierteilige, als 15T1 bezeichnete Škodas, ein weiterer 2018. Von 2017 bis 2021 folgten 14 weitere Dreiteiler, nun allerdings als 15T2 bezeichnet.
Insgesamt verfügt Rīga damit bereits über 34 Dreiteiler und sieben Vierteiler, die bislang allerdings nur die zwei Linien 1 und 11 bedienen können. Da die Linie 1 allerdings die längste Linie der Stadt ist und teilweise mit bis zu neun Bahnen pro Stunde bedient wird und auch die Linie 11 in dichter Taktung fährt, wird auf diesen beiden Linien auch ein nicht unerheblicher Teil der Fahrzeuge benötigt. Die Vierteiler kommen dabei ebenfalls auf beiden Linien zum Einsatz und fahren zufällig irgendwo zwischen den Dreiteilern.
Weiter geht es nun aber mit der Fahrt durch Rīga: In strömendem Regen hat sich mein 15T die lange Linie 11 in den Nordosten nach Mežaparks gearbeitet. Die Strecke kam mir dabei durchaus nicht langweilig vor und bot eine große Abwechslung aus dicht urbanem Umfeld, über dörfliches Flair bis hin zu Abschnitten mitten im Grünen. Bei diesem Wetter und zunehmender Dunkelheit verspürte ich aber kein drängendes Bedürfnis, den trockenen Innenraum des Škoda zu verlassen. Erst an der Enschleife Ezermalas iela, direkt neben dem Zoo stieg ich aus und fotografierte meine wartende Bahn an einem kleinen Stationshäuschen.
Skoda 15T 57550 wartet an der Endstation Ezermalas iela auf die Abfahrtszeit. Im Hintergrund liegt die Endschleife direkt am Waldrand.
Für die Rückfahrt hatte ich mir dann noch die Zwischenschleife 2. Meža kapi mitten im Grünen gemerkt. Für stadteinwärts wartende Fahrgäste gab es hier glücklicherweise einen Unterstand, sodass die Regenfestigkeit der zweiten Jacke des Tages vorerst nicht weiter strapaziert werden musste. Spätestens mit den anschließenden wenigen Metern durch die Wiese zum Fotografieren des nächsten Kurses stadtauswärts, kamen dann aber die Schuhe an ihre Grenzen. Hätte ich das geahnt, hätte ich wohl die wasserfesten Wanderschuhe mitgenommen – aber wer rechnet schon mit so heftigem Dauerregen…
An der Zwischenschleife 2. Meža kapi kommt der vierteiliger 15T 58501 stadtauswärts. Die Schleife liegt idyllisch im Grünen mit glücklicherweise einem kleinen Unterstand stadteinwärts. Nur die benachbarte, stark befahrene Straße stört hier die Ruhe erheblich.
Jetzt reichte es mir aber. Ich flüchtete schnell zum Unterstand und wartete auf die nächste Bahn zurück in die Stadt. Hinter dem Zusammentreffen mit der Linie 1 wechselte ich auf selbige, um dem Hotel möglichst nahe zu kommen. Die Strecke parallel zur Linie 1 auf der Krišjāņa Barona iela ist dabei aus urbaner Sicht eigentlich eine der schönsten der Stadt, vermittelt sie mit ihren teils prächtigen Jugendstilbauten und dem Gewimmel aus Passanten und Läden doch als eine der wenigen entlang der Straßenbahn wirklichen großstädtischen Innenstadtflair. Leider ist die Strecke aber fast den ganzen Tag hoffnungslos überfüllt mit Autos, mit denen sich die Bahnen die Fahrbahn teilen. Aufnahmen abseits der Haltestellen sind damit fast unmöglich, nur gestern waren mir einige Bilder rund um Merķeļa iela gelungen.
Im Hotel angekommen, wurden dann erneut trockene Sachen angelegt und auf die lichtstarke Festbrennweite umgerüstet, denn bei solchem Wetter ist die Zeit der Dämmerung und blauen Stunde doch noch mit Abstand die Beste zum Fotografieren. Bis dahin war aber noch viel Zeit für ein Abendessen. Nachdem das gestern nicht so erfolgreich war, hatte ich heute Morgen ein Restaurant gesehen, das nicht ganz so astronomische Preise hatte und ganz einladend aussah. Komischerweise hieß das zwar Golden Coffee, hatte aber eine vollwertige Speisekarte – natürlich auch nur mit Pizza, Burger und Sandwich 😀 Dank des CovPass durfte ich auch im Innenraum Platz nehmen. Zahlung war derweil nur in Bar möglich, was mir im ganzen Land kein weiteres Mal irgendwo unterkam. Wahrscheinlich musste nach langem Lockdown einiges an der Kasse vorbeigeführt werden…
Die Pizza war eher amerikanisch belegt – also mehr als reichlich – sodass ich mich bei der Größenwahl maßlos überschätzte. Egal, lecker war’s und zur Verdauung gab’s noch einen Cappuccino hinterher, bis vor dem Fenster in der Kungu iela endlich die blaue Stunde einsetzte und wieder zur Arbeit aufrief.
Für heute Abend hatte ich mir die Häuserblocks rund um die Blockumfahrung der Universität mit den Linien 1, 5, 7 und 11 vorgenommen.
T3SU 30329+30331 haben die Haltestelle Nacionālā opera verlassen und rollen Richtung 13. janvāra iela. Hinten rechts ist die Oper zu erkennen. Von rechts kommend, biegt die Linie 11 Richtung Oper und Ausekļa iela ab. Die Linien 5 und 7 passieren die Kreuzung geradeaus, während die Linie 1 die Universität auf der anderen Seite umfährt.
Praktisch die gleiche Stelle mit dem abbiegenden 15T 57528 Richtung Mežaparks.
Wir befinden uns jetzt auf der anderen Seite des Häuserblocks der Universität an der Linie 1 mit der Haltestelle Stacijas laukums.
Die Dunkelheit liegt nun über Rīga und zum Abschluss gibt es noch eine Aufnahme an der Ecke Aspazijas bulvāris / 13.janvāra iela, wo die Linie 1 hinter der Blockumfahrung auf die Linien 5 und 7 trifft. Die beiden letzteren kommen von der Oper den Aspazijas bulvāris hinunter und biegen in Fahrtrichtung rechts zur Haltestelle 13.janvāra iela bzw. Centrāltirgus ab. Die Linie 1 kommt hier vom rechten Bildrand und fährt wie die Linie 7 über Centrāltirgus. T3SU 30242+30253 fahren als Linie 5 über die Haltestelle 13.janvāra iela.
Halb zehn war inzwischen durch und so richtig trocken fühlte sich langsam nichts mehr an. Kein Wunder, zeigen doch schon die Bilder, dass es auch den ganzen Abend hindurch in Strömen regnete. Ich besorgte mir noch eine Kleinigkeit zu Essen, auch wenn die Pizza noch immer gut im Magen lag und flüchtete dann ins trockene und warme Hotel, wo ich gut durchnässt wohl einen recht bemitleidenswerten Anblick abgab. Jedenfalls bot mir die zuvorkommende Rezeptionistin angesichts meines morgigen Aufbruchs nach Daugavpils vor dem Frühstück an, stattdessen in der Lobby einen Kaffee zu servieren. Das hörte sich doch gut an. Bis dahin durften es aber erstmal ein paar Stunden Schlaf sein, bevor ich morgen ab 07:31 Uhr nach Daugavpils dieseln würde.