GT4 zurück im Liniendienst – Ein Spaziergang durch Halberstadt

Nachdem es Mitte September in der Domstadt am nördlichen Rand des Harzes zu einem folgenschweren Zusammenstoß zwischen zwei Leolinern kam, ist der kleine Straßenbahnbetrieb in Halberstadt wie aus dem Nichts wieder auf die verbliebenen GT4 der MF Esslingen angewiesen. Auch ich konnte mir diesen täglichen Einsatz der über 50 Jahre alten Oldies natürlich nicht entgehen lassen und stattete Halberstadt am 4. November 2020 einen Besuch ab.


Seit der Auslieferung der fünf Leoliner 1 bis 5 von 2006 bis 2007, kann in Halberstadt im Regelfall der gesamte Fahrzeugauslauf niederflurig bewältigt werden. Mit genau fünf benötigten Kursen für die zwei kurzen Linien ist die niederflurige Fahrzeugdecke allerdings auch maximal knapp kalkuliert und so wurden für eventuelle Ausfälle, Wartungen oder anstehende Hauptuntersuchungen weiterhin vier der zuvor eingesetzten GT4 der Maschinenfabrik Esslingen vorgehalten. Konkret handelt es sich dabei um die vier ehemaligen Freiburger Zweirichter mit den Halberstädter Nummern 164, 167 und 168, von denen die beiden letzteren den Umweg über Nordhausen nahmen und den ehemaligen Stuttgarter mit neuer Nummer 156. Eine genauere Chronik zu den Wegen der GT4 der MF Esslingen findet sich hier: Straßenbahnen im Exil: Der Werdegang der Esslinger GT4 von Stuttgart bis Iași.

Regelmäßige Einsätze der letzten GT4 Deutschlands für den Planbetrieb waren damit in den vergangenen Jahren sehr selten. Zuletzt war dies in den Jahren 2016 und 2017 der Fall, in denen als Reaktion auf die Flüchtlingsbewegung ein temporärer Zusatzkurs zur Klus mit dem nahegelegenen Flüchtlingsheim eingerichtet wurde. Der zeitlich befristete Einsatz wurde vom Land Sachsen-Anhalt gesondert finanziert und endete im Jahr 2017. Aus dieser Zeit datierten bis in diesen November auch meine letzten Besuche in Halberstadt, als ich die Zusatzkurse zur sonst nur am Samstag und von Leolinern befahrenen Strecke zur Klus aufnahm: Halberstadt: Mit den letzten GT4 zur Klus.

Nun lockten also nach drei Jahren Pause wieder die heulenden GT4 in die Domstadt, denn auf gut Glück nach Halberstadt zu fahren, in der Hoffnung auf einen Ausfall eines Leoliner, ist dann doch nicht so ertragreich. Zumal in den vergangenen Jahren vermehrt dazu übergegangen wurde, ausgefallene Niederflurer durch Busse zu ersetzen. Zwischenzeitlich wurde gar über die Aufgabe der GT4-Reserveflotte nachgedacht. Zumindest diese Idee scheint nun mit dem langfristigen Ausfall zweier Leoliner erstmal vom Tisch zu sein. Andererseits steht der Fortbestand dieses Kleinstbetriebes ohnehin immer wieder zur Debatte.
Nachdem zuletzt nur noch die GT4 167 und 168 einsatzfähig waren, wurde unlängst auch der GT4 164 wieder für den Linienverkehr hergerichtet. Lediglich der ehemalige Stuttgarter GT4 ist mangels eingebautem IBIS-System weiterhin abgestellt, konnte allerdings beim letztjährigen Jubiläum in Stuttgart seine grundsätzliche Einsatzfähigkeit unter Beweis stellen.


Mittwoch, 4. November 2020

Bei strahlendem Sonnenschein nahm ich am Mittwoch den 4. November 2020 die kaum einstündige Fahrt nach Halberstadt in Angriff. Der Wagen wurde im großen Rondell am Sargstedter Weg abgestellt und die folgenden acht Stunden lief ich, abgesehen vom Abschnitt Heinrich-Julius-Straße – Herbingstraße, das gesamte Liniennetz ab. Ein Kurs der Straßenbahn wurde leider ganztägig von einem MAN-Erdgasbus bedient, der zweite potenzielle GT4-Umlauf war dafür mit dem GT4 168 bestückt, der sich bei vergangenen Besuchen immer rar gemacht hatte. In dem von Motiven nur so strotzenden kleinen Netz wurden aber natürlich auch die Leoliner-Kurse gern mitgenommen – da ist man an einem kurzen Novembertag bei diesem Kaiserwetter dann nicht wählerisch…


Selbst an kurzen Novembertagen erreicht die Sonne den Motivklassiker an der Vogtei. GT4 168 kommt auf der Linie 2 vom Sargstedter Weg Richtung Herbingstraße/Bahnhof.


Nach der großen Runde über die Herbingstraße zum Bahnhof, ist der GT4 am Bahnhof auf die Linie 1 zum Friedhof gewechselt. Dieser Linienwechsel am Bahnhof ermöglicht Aufnahmen des GT4 im gesamten Netz. Am Friedhof wendet der Wagen durch das Gleisdreieck am Depot. Von der Funktion als Zweirichtungswagen wird in der Regel kein Gebrauch mehr gemacht.


Leoliner 2 erklimmt die Steigung zwischen den Haltestellen Hoher Weg und Holzmarkt unmittelbar neben dem Dom.


Schon ist der GT4 wieder auf der Linie 2 zum Sagstedter Weg unterwegs und rollt hinab zur Haltestelle Hoher Weg. Bei nur fünf Kursen lässt es sich gut zwischen den beiden Linien wechseln, sodass einem der GT4 praktisch ständig vor die Linse fährt, wenn man es darauf anlegt.


Neben der Vogtei ist wohl der hintere Bereich der Gröperstraße zwischen gleichnamiger Haltestelle und der Haltestelle Zuckerfabrik der markanteste Fachwerkabschnitt der Straßenbahn in Halberstadt. Kein anderer Betrieb in Deutschland bietet eine solche Fülle an Motiven mit Straßenbahn und Fachwerkgebäuden, geschweige denn derart großflächige Gesamt-Ensembles. GT4 168 ist inzwischen wieder auf der Linie 1 unterwegs und kommt von der Haltestelle Zuckerfabrik Richtung Bahnhof, wo er wieder auf die 2 wechseln wird.


Nicht lange warten musste ich auf dem Wall neben dem Halberstädter Dom, bis der GT4 als Linie 2 zum Sargstedter Weg zurückkam.


Für die Rückfahrt wählte ich die großzügige Außenkurve hinter der zentralen Haltestelle Holzmarkt zur Haltestelle Heinrich-Julius-Straße vor der Kulisse des Rathaus-Center und der Martinikirche.


Anschließend lief ich entlang der Linie 1 die Kühlinger Straße hinüber zur Richard-Wagner-Straße zum Bahnhof. Die Zweirichtungswagen erlauben in der großen Blockumfahrung am Bahnhof Motive, die mit den Leolinern als Nachschuss eher weniger möglich wären, wie hier kurz vor Erreichen des Bahnhofes auf der Richard-Wagner-Straße. Die Treppe rechts hinauf wurde, nicht sichtbar vom Bahnhof, aus einem kleinen Anhänger heraus verschiendene Suppen aus einer Gulaschkanone zum Mitnehmen feilgeboten. Keine Werbung wies auf die Gulaschkanone hin und auch der Anhänger war ohne jegliche Aufschrift schlicht in Weiß gehalten. Dennoch stand eine lange Schlange in corona-konformen Abstand an der Gulaschkanone und wartete geduldig auf ihre Mahlzeit. Qualität spricht sich eben herum und bedarf keiner wild blinkenden LED-Leuchtreklame, wie sie an mancher Imbissbude fast epileptische Anfälle auslöst. Schön, wenn sich solche typischen Angebote praktisch als “Institutionen” halten können. Details, die ich gern beim Warten an Fotostellen beobachte, wie auch hier beim Warten auf GT4 168 auf dem Weg als Linie 2 über den Bahnhof zum Sargstedter Weg.


Mit ein wenig Eile schaffte ich es noch zum Anfang der Blockumfahrung an die Haltestelle Richard-Wagner-Straße zurück, die noch eben knapp im Sonnenlicht lag.


Als Linie 1 zum Friedhof erreicht Leoliner 2 in Kürze die Haltestelle Heinrich-Heine-Platz auf der Richard-Wagner-Straße.


Im Anschluss lief ich noch den östlichen Teil des großen Bogens der Linie 2 zur Herbingstraße ab. Unweit der Haltestelle Landratsamt gelang der Nachschuss auf GT4 168 neben verlassener Industriekulisse.


Im hinteren Bereich des Bogens zur Herbingstraße muss die Linie 2 auf beiden Seiten die Eisenbahnstrecke kreuzen. Hier überquert Leoliner 2 auf der Klusstraße die Eisenbahn Richtung Herbingstraße/Sargstedter Weg.


Leoliner 3 hat die Haltestelle Herbingstraße erreicht und fährt weiter zum Sargstedter Weg. In meinem Rücken verlaufen die Gleise der Stichstrecke zur Klus, die sowohl hier aus der Westerhäuser Straße erreichbar ist, als auch von der Klusstraße aus.


Am anderen Abzweig zur Klus befindet sich wenig später GT4 168 und biegt von der Klusstraße nach rechts zur Haltestelle Herbingstraße ab.


Ein tolles Ensemble hatte ich mir am Mittag in der Blockumfahrung am Bahnhof in der Beckerstraße vorgemerkt. Dorthin lief ich nun also zurück, in der Hoffnung, die Novembersonne möge noch hoch genug stehen, um in die Straßenachse zu scheinen. In der Theorie reichte die Sonne auch perfekt für einen GT4-Spot, leider verhagelte mir die aufkommende Bewölkung das Bild. Dafür klappte es wenige Minuten später mit dem Kurs der Linie 2 und dem Leoliner 2.


Auch den Bahnhofsvorplatz rückt die Novembersonne noch knapp ins richtige Licht. Dort wartete ich nun auf die Rückkehr des GT4 vom Friedhof und den anschließenden Linienwechsel auf die 2.


Fast bis zum letzten Sonnenstrahl scheint das Licht am Nachmittag in die Richard-Wagner-Straße mit ihren teils markanten Plattenbauten auf der nordwestlichen Seite. Leoliner 2 befindet sich zwischen den Haltestellen Richard-Wagner-Straße und Heinrich-Heine-Platz. Die Besetzung der Bahnen ist einzig auf diesem Abschnitt zwischen Holzmarkt und Bahnhof den ganzen Tag halbwegs anständig. Neben einigen Kursen, die ganz gut mit Schülern besetzt waren, fuhren die Wagen ansonsten meist mit keiner Handvoll Fahrgästen durch die Straßen.


Ein UPS-Fahrer stellte dann im Anschluss tatsächlich seinen Wagen mitten auf der Straße direkt vor der Ampel ab und verschwand in einem Hauseingang. Mit dieser Aktion verhagelte es mir schon wieder die anvisierte GT4-Aufnahme – da war jetzt irgendwie ein bisschen der Wurm drin. Dafür klappte es mit dem nachfolgenden Leoliner 2 perfekt. Von den in dieser Form einzigartigen Fahrzeugen habe ich wahrscheinlich ohnehin weniger Aufnahmen als von den GT4 und wer weiß, wie lange man in dieser Stadt überhaupt noch Straßenbahnen erleben darf. Daher nahm ich auch die Leo’s immer gern mit.


Anschließend wartete ich Kaffee trinkend an der Haltestelle Johannisbrunnen auf den Anbruch der blauen Stunde. Ein paar Minuten zu früh für selbige kam dann der GT4 zum Sargstedter Weg durch. Diese Perspektive mit dem Halberstädter Dom ist ansonsten aber nur bei Bewölkung möglich. Auch die Bratinsel ist noch immer ein schönes Detail auf dem gemütlichen Platz am Johannisbrunnen.


Beim folgenden Kurs mit Leoliner 4 war das Licht dann aber perfekt. Zwischen den Fachwerkhäusern schlängelt sich der Wagen vom Johannisbrunnen zur Vogtei.


Die Beleuchtung ging leider erst an, als es in den Straßen dann doch schon arg dunkel war. Auch war die Beleuchtung in der Gröperstraße etwas dürftig für fahrende Bahnen. Dafür kam aber der GT4 168 noch einmal zum Friedhof durch und die Kamera durfte bei ISO 2000 zeigen, was in ihr steckt.

Nach über 15 Kilometern Fußmarsch durch die Gassen der Domstadt, war es dann auch genug und ich lief zurück zur Schleife Sargstedter Weg. Mit einem Dutzend weiterer GT4-Aufnahmen bei schönstem Wetter, war der Tag trotz des Bus-Einsatzes auf dem zweiten Kurs zu meiner vollen Zufriedenheit verlaufen. Da unlängst aber auch der GT4 164 wiederhergerichtet wurde, würde es mich in diesem Winter bestimmt noch einmal nach Halberstadt verschlagen, dann vielleicht auch mit zwei GT4-Kursen.


Mittwoch, 18. November 2020

Schneller als erwartet verschlug es mich am 18. November 2020 erneut nach Halberstadt. Zwar war es erneut ein Mittwoch, an dem im Normalfall einer der fünf Kurse mit einem Ersatzbus gefahren wird und dementsprechend nur ein GT4 eingesetzt wird, dennoch wollte ich noch einige Motivlücken vom letzten Besuch schließen. Während in Braunschweig und über dem Harz Wolken hingen, schien am nördlichen Harzrand wie vorhergesagt durch einen schmalen wolkenfreien Streifen den ganzen Tag fast ununterbrochen die Sonne. Diese Wettersituation bescherte mir einige Theaterbeleuchtungen insbesondere am Vormittag entlang der beim letzten Besuch nicht abgelaufenen Strecke zwischen den Haltestellen Herbingstraße und Heinrich-Julius-Straße.


Der erste Sonnenspot auf der Westerhäuser Straße zeigte sich um kurz nach neun an gleichnamiger Haltestelle vor dem WSSB-Bahnübergang. Leoliner 4 hält perfekt in der Theaterbeleuchtung an der Haltestelle auf der Fahrbahn.


Auch einen GT4 wollte ich an dieser Haltestelle ablichten. Zunächst kam aber der Buskurs Richtung Bahnhof durch. In Gegenrichtung kamen derweil gleich zwei GT4 hintereinander in Gestalt von 167 und 168 durch. Das war natürlich perfekt, würden die beiden Kurse dann doch gleich ideal im Licht zurückkommen. So war die Westerhäuser Straße dann auch schon voll ausgeleuchtet, als nach einer halben Stunde der GT4 167 die Haltestelle erreichte.


An wenigen Stellen fanden sich in Halberstadt durchaus noch herbstliche Spuren. So auch zwischen den Haltestellen Spiegelstraße und Westerhäuser Allee, wo ich GT4 168 eine Viertelstunde später erwartete.


Die beiden GT4 waren hier nun erstmal durch und würden zunächst vom Bahnhof aus eine Runde auf der 1 drehen. Ich lief zur Kühlinger Straße hinüber, um die beiden Kurse bei ihrer Rückkehr vom Friedhof auf dem Weg zum Bahnhof abzufangen. Am Depot am Friedhof wurde allerdings der GT4 167 gegen den dritten verfügbaren Leoliner 2 abgelöst, sodass ich den weiteren Tag nur noch mit dem 168 planen konnte. Dieser kam dann eine Viertelstunde nach dem eingewechselten Leoliner zwischen den Haltestellen Fischmarkt und Kühlinger Straße vor der Kulisse der Kirche St. Martini daher.


Nach dem Linienwechsel am Bahnhof gehörte auf der viel befahrenen B81 zwischen den Haltestellen Erich-Weinert-Straße und Landratsamt schon ein wenig Glück dazu, damit der GT4 168 nicht vollständig von Autos zugefahren wurde.


Was im diesjährigen Bilderbogen natürlich nicht fehlen durfte, war der noch immer nicht erneuerte WSSB-Bahnübergang auf der Westerhäuser Straße. Während der Bahnübergang auf der Klusstraße inzwischen auf den Stand der Technik gebracht wurde, wird der Bahnübergang auf der Westerhäuser Straße noch immer durch die uralt-DDR-Technik des VEB Werk für Signal- und Sicherungstechnik Berlin gesichert. GT4 168 überquert den Bahnübergang in Richtung Herbingstraße/Bahnhof.


Ich unternahm einen Sprung zur Strecke der Linie 1 zum Friedhof. Bei nur einem GT4-Kurs braucht es am Fachwerkensemble der Gröperstraße etwas Glück mit den Umläufen. Leider reichte der Sonnenstand an der Haltestelle Zuckerfabrik nicht ganz aus, um die Fachwerkfassade in die Sonne zu Rücken. Bei der nächsten Durchfahrt des GT4 168 in 75 Minuten wäre derweil schon wieder alles im Schatten…


Ich verschob mich daher nochmal auf die Richard-Wagner-Straße, wo die Aufnahme mit dem Eckhaus am Heinrich-Heine-Platz beim letzten Besuch mehrmals verhagelt wurde. Diesmal klappte es um Haaresbreite mit einem von hinten durchs Bild rauschenden SUV-Kleinwagen-Verschnitt aus Wolfsburg.


Am Sargstedter Weg wählte der GT4 bei Ausfahrt aus der Schleife überraschend das linke Gleis in der kurzen Überholstelle, sodass er leider in den Schatten der glücklicherweise schon laubfreien Baumkrone geriet.


Die Novembersonne wurde schon wieder arg knapp und auf meinem Zettel stand jetzt nur noch die Beckerstraße, die vor zwei Wochen einen Wolkenschaden erlitt. Die 14 Tage hatten aber auch im November noch entscheidend an den Baumschatten gearbeitet, sodass das kleine Wägelchen nicht mehr vollständig in den Sonnenspot passte. Dennoch ein schöner Abschluss dieses GT4-Tages in Halberstadt.

Damit war nun wirklich wieder ein ordentliches Sammelsurium an GT4-Aufnahmen aus Halberstadt zusammengekommen. Ob es das jetzt war für diesen Winter? Der unlängst wieder in Betrieb genommene GT4 164 würde dann schon nochmal reizen…
Die beiden verunfallten Leoliner gingen indes erst einen Tag vor meinem zweiten Besuch zur Ausbesserung, sodass noch für einige Monate mit dem Einsatz der GT4 zu rechnen ist.

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