Um Elf soll es heute Vormittag mit dem Bus weiter nach Belgrad gehen. Vorher bleibt noch kurz Zeit für ein paar Bilder vom Trolleybus, mit dem es dann auch gleich zum Busbahnhof geht.
Die Fahrkarten hatten wir bereits gestern gekauft. Wie im vorletzten Teil geschrieben, hatten wir erwartungsgemäß in Erfahrung gebracht, dass die meisten Busse nach Serbien noch immer vom Busbahnhof Dobrinja abfahren. Dieser liegt weit außerhalb der Innenstadt im Südwesten Sarajevos unweit des Flughafens. Mit den Trolleybuslinien 103 und 107 waren wir bereits gestern zwecks Fahrkartenkauf zum Busbahnhof Dobrinja hinaus gefahren. Hier nun ein kleiner Flashback der gestrigen Erlebnisse mit dem Trolleybus, welcher sich tatsächlich in einem noch kläglicheren Zustand befindet, als die Straßenbahn:
Die Fahrt aus der Stadt zog sich in dem gut gefüllten und aufgeheizten Bus wie Kaugummi und die Endstation Dobrinja war erst nach etwa einer halben Stunde erreicht. Der Trolleybus endet dann in Dobrinja völlig unverständlich etwa 500 Meter vor dem Busbahnhof, sodass diese restliche Strecke noch zu Fuß zurückgelegt werden darf. Wir hatten die Fahrt zum Fahrkartenkauf strategisch günstig in eine Schlechtwetterphase gelegt und vor der Rückfahrt in die Innenstadt blieb noch Zeit für ein paar Bilder. Wir konnten beim Trolleybus vier verschiedene Fahrzeugtypen beobachten. Alles waren Gebrauchtwagen aus Westeuropa. Die Hauptlast tragen die Schweizer Gelenkbusse von Hess aus Genf und St.Gallen. Unterstützt werden diese von den MAN Solo Dreiachsern aus Solingen und sogar einen Solinger MAN SG 200 HO Gelenkbus von 1983 sollten wir noch sehen. Während die Schweizer Busse erst 2010 und 2015 übernommen wurden und noch einen halbwegs akzeptablen Eindruck machen, sind die teilweise bereits seit 1997 in Sarajevo eingesetzten Solinger völlig heruntergekommen. Die Wagen bestehen nur noch aus völlig verzogenen Rostresten. Damit der Rost zusammenhällt, wurden sie allesamt in verschiedenfarbige Farbtöpfe geschmissen – was eben gerade so da war… Aber es wäre ja völlig verschwendete Mühe die Fahrzeuge vor dem Versenken im Farbtopf an entscheidender Stelle abzukleben. So wurden etwa Zielfilmfenster und Markenemblem gleich mit übermalt. Nur das Nötigste, wie Scheiben und Scheinwerfer wurden verschont. Der optische Eindruck wird vom technischen Zustand dann auch sehr nachdrücklich bestätigt. Irgendein Kompressor ist durchgängig am Krächzen und Röcheln, der Motor heult und schreit in ungesunden Tonlagen und Türen schließen sich erst beim dritten Versuch.
Als schließlich auf unserem Kurs, vom Fahrkartenkauf im Busbahnhof zurück in die Innenstadt, an der Endhaltestelle der blaue Solinger 618 vorfuhr, sprach ich noch leichtfertig meinen Tipp für die Chance aus, dass wir mit dieser Fuhre die Innenstadt erreichen würden: 50:50.
Mein Tipp war allerdings noch deutlich zu optimistisch für die Schrottlaube. Mehr als Tempo dreißg war mit der abgerockten Kiste schon mal garnicht mehr drin. An den hügeligen Hängen südlich des Talkessels von Sarajevo versagte dann die mittlere Tür, konnte sich allerdings nach dem dritten oder vierten Versuch doch noch davon überzeugen lassen, doch bitte zu schließen. An der nächsten Haltestelle in der Steigung schloss zwar die Tür, dafür hüpfte der Bus beim Versuch am Berg anzufahren unter einem seltsamen Stöhnen nur einen Meter vorwärts, als wäre er abgewürgt worde, was natürlich beim Trolleybus garnicht möglich ist. Dennoch ging die Fahrt irgendwie weiter. Jedenfalls bis vor die großen Betonhallen “Dvorana Mirza Delibašic” der Olympischen Spiele. Beim Ampelstart auf der Linksabbiegerspur wiederholte sich das “Abwürgen” von eben gerade, mit dem Unterschied, dass bei der Fuhre jetzt garnichts mehr ging. Eine Minute lang passierte garnicht, dann öffnete der Fahrer wortlos mitten auf der dreispurigen Straße alle Türen und die Fahrgäste quollen aus der Schrottlaube heraus in den Verkehr und Platzregen. Immerhin bis hier waren wir gekommen. Schnell flüchteten wir uns vor dem Regen in eines der Cafés vor der Olympiahalle und waren froh auf einem sicheren Stuhl Platz nehmen zu können…
In der Endschleife Dobrinja wartet ein ehemaliger Trolleybus aus St.Gallen mit Baujahr 1991 auf die Abfahrtzzeit.
Während der ehemaliger Solinger Dreiachser 613 sich mit letzter Kraft an den Bordstein retten und den Anker werfen konnte, will der blaue 618 tatsächlich den Versuch starten, uns in die Innenstadt zurück zu bringen.
618 hat sich eine zu große Last aufgebürdet mit dem Versuch die Innenstadt zu erreichen und bricht sämtlicher Kräfte beraubt vor der Olympiahalle zusammen. Die Fahrgäste müssen ihren Weg zu Fuß durch den strömenden Regen fortsetzen.
Später gelang noch ein Bild des nicht minder fertigen Solinger 622 vor dem Gesundheitsministerium. Hier kreuzt der Trolleybus die Innenstadtschleife der Straßenbahn.
Zurück ins hier und jetzt:
Nach ein paar abschließenden Bildern der Straßenbahn fuhren wir mit großzügigem Zeitpuffer – wir hatten ja gestern erlebt wofür es gut sein könnte – mit dem Trolleybus zum Busbahnhof hinaus. Auf dieser Fahrt verfolgte uns dann tatsächlich einer der scheintoten Solinger Gelenkbusse MAN SG 200 HO. Leider bog er nach kurzer Zeit rechts ab und es ergab sich keine Gelegenheit für ein Bild. Dafür konnten wir die großzügige Zeit vor Abfahrt des Busse nach Belgrad noch für ein paar Trolleybusbilder an der Endschleife Dobrinja nutzen.
Der 1988 für Genf gebaute 635 wird vom Solinger 613 überholt.
Anschließend ging es die restlichen 500m zu Fuß zum Busbahnhof. Auf so einer Verbindung zwischen den Hauptstädten der benachbarten Länder rechneten wir eigentlich mit einem ausgewachsenen Reisebus. Doch was dann vorfuhr war nur ein modifizierter Sprinter des uns unbekannten Anbieters Kondor. Der Bus war zwar noch sehr neu und an sich auch recht komfortabel, allerdings eben doch nur mit dem Fahrwerk eines Sprinters ausgestattet und das sollte uns die nächsten acht Stunden gut durchschütteln.
Immer wieder wahnsinnig einladend diese Busbahnhöfe… Hier unser Startbahnhof Sarajeco Dobrinja auf dem Weg nach Belgrad.
Auf dem Hügelkamm südlich von Sarajevo fuhren wir noch einmal an der ganzen Stadt vorüber, mit teils schönen Ausblicken in Richtung Altstadt. Anschließend ging es ins Nichts. Der erste Halt war bereits nach etwa 45 min die Kleinstadt Pale. Das war jetzt schon eine ziemliche Provinzstadt und dementsprechend sahen auch die Busse aus, die hier den Busbahnhof ansteuerten. Da waren wir schon fast wieder froh über unseren modernen Sprinter, als ein Mercedes O 303 von Centrotrans unter ohrenbetäubendem Lärm den Versuch startete, vom Busbahnhof Pale abzulegen. Die Geräuschkulisse erinnerte weniger an einen Reisebus, als vielmehr an einen startenden Kampfjet…
Edle Gefährte legen am Busbahnhof von Pale ab. Hier ein O 303 von Centrotrans.
Auf dem Papier sah unsere Fahrt eigentlich nach Entspannung aus: Eine durchgehende Verbindung bis Belgrad und eine schöne Strecke durch die Berglandschaft des Balkans. Das Fahrwerk unseres Kondor-Sprinter erwies sich aber nach den ersten Stunden doch irgendwann als wahnsinnig unbequem, als der leicht hinkende und eigentlich mehr rauchende und chattende Fahrer auf der Passstraße alles gab, um noch in der kleinsten Lücke schwere Sattelzüge zu überholen und sein Gefährt dabei mit einem Sportwagen zu verwechseln schien. Dabei schien ihm auch das eigene Leben nicht viel wert zu sein, wenn er bis auf einen Meter auf die hinten aus dem LKW hinausragenden Holzstämme auffuhr. Da half nur Kopfhörer aufsetzen und möglichst aus dem Seitenfenster die idyllische Landschaft genießen und auf keinen Fall den Fahrer oder die Straße beobachten.
Irgendwo in den Bergen zwischen Sarajevo und der serbischen Grenze hatte der Kondor dann seine Basis. Und hier in der Gegend kannte der Kondor auch die Bewohner dieser einsamen Landschaft, sodass er sich ein kleines Zubrot damit verdiente, irgendwelche Omas vom Einkaufen im Ort zu ihren Häusern irgendwo im Nichts mitzunehmen. Diese Mitfahrgelegenheiten wurden zuvor minutiös über Whatsapp geplant, so dass der Kondor genau wusste, wen er in welchem Kaff noch aufsammeln konnte und an welchem Hof er wen wieder abladen musste. Das Problem dabei war, das der Bus eigentlich schon voll war und sich die Dorfbewohner mit ihren Wocheneinkäufen dann noch in den Gang des ohnehin engen Sprinters quetschten. Aber aus Sicht der Provinzbewohner durchaus verständlich, wäre doch die Alternative wahrscheinlich ein vierstündiger Marsch…
An seiner Basis auf einer Hochebene des Dinarsichen Gebirges wurden die letzten blinden Passagiere abgeladen und der Bus an der unternehmenseigenen Tankstelle vollgetankt. Angenehme 20 Grad, klare saubere Bergluft, grasende Kühe und eine leichte Brise, für einen kurzen Moment fühlte es sich an wie Urlaub, zwischen all diesen stickigen und vom Straßenverkehr erdrückten Städten. Aber wir waren ja nicht zum Spaß hier, also gings nach einer kurzen Kaffeepause weiter 😀
Dem Kondor-Reisen seine Basis irgendwo auf einer Hochebene des Dinarischen Gebirges.
Was für eine Idylle…
Kurz vor der serbischen Grenze wurde noch ein Halt in dem völlig heruntergekommenen Grenzkaff Zvornik eingelegt. Der Busbahnhof machte tatsächlich in Sachen abstoßende Wirkung noch jenem von Vorgestern in Zenica Konkurrenz. Für Fans alter westeuropäischer Linien- und Reisebusse muss er aber ein Paradis gewesen sein 😀
Dieser O 405 G in Zvornik kann seine niederländische Connexxion-Vergangenheit nicht verbergen. Auf der anderen Seite der Brücke beginnt bereits Serbien.
Der Grenzübertritt ging relativ zügig, zweimal etwa 15 min warten bei Ein- und Ausreise und wir befanden uns auf serbischen Boden. Bei einer Raststätte wurde eine letzte Pause eingelegt und schon bald war die Autobahn E-70 nach Belgrad erreicht. Der Fahrer erreichte inzwischen nach acht Stunden Fahrt aber merklich seine Müdigkeitsgrenze, sodass er sich nur noch durch pausenloses Chatten und gleichzeitiges Rauchen wach halten konnte. Seine Reaktion war in anbetracht dessen bemerkenswert, als ein Skoda ihn auf der linken Spur übersah und dem Kondor Vorn rechts in die Stoßstange fuhr. Etwas langsamer reagiert und er hätte den Skoda bei 110 kmh umgedreht und hätte wohl auch seinen Sprinter nicht mehr gerade auf der Spur halten können. So blieb es bei einer Vollbremsung die einige Fahrgäste aus ihren Sitzen Riss und leichten Blechschäden an beiden Gefährten.
Es foltge eine 10 minütige Diskussion mit dem Skodafahrer mitten auf der linken Spur und ohne jegliche Sicherung, was im Nachhinein wohl gefährlicher war als der Unfall selbst, dann ging es doch noch weiter nach Belgrad.
Ein letzter Halt vor Belgrad. Noch ahnt niemand, dass die Stoßstange des Kondors noch eine ordentliche Delle abbekommen sollte…
Über die große Autobahnbrücke über die Save erreichten wir schließlich Belgrad. Hier bot sich ein Bild für die Ewigkeit. Zwischen Industriebrachen und der sich auf allen Seiten auftürmenden heruntergekommenen Plattenbauten, lag am siffigen schwarzen Ufer der Save zwischen zwei Brücke das rostige Gerippe eines Raddampfers halb an Land, halb im Wasser. Natürlich war das Bild auch beeinflusst von dem inzwischen herrschenden Dämmerlicht und dem anstrengenden Tag, aber es sah aus wie in irgendeinem Katastrophenfilm nach dem Aussterben der Menschheit und wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Leider fehlte die Zeit, noch schnell ein Bild zu machen, denn der Kondor raste schon auf den Busbahnhof zu. Bei Google kann man das Wrack aber sogar südlich der E-75 Savebrücke von oben sehen.
Völlig entnervt waren dann gegen 19:00 alle Insassen des Sprinters froh, endlich angekommen zu sein. Schnell die Koffer auf’s Hotel gebracht und erstmal einen anständigen Burger in einem freudlich, modernen Restaurant/Bar unweit des Trg Slavija genossen.
Nach diesem anstrengenden Reisetag blieb der Abend kurz und morgen bleibt dann der ganze Tag Zeit, Belgrad und seiner Straßenbahn einen ausgiebigen Besuch abzustatten .