Erst den vierten Tag sind wir nun unterwegs und schon erreichen wir mit Rumänien das vierte Land dieser Tour. Hier stehen neben den Gebrauchtwagen aus Berlin, Dresden und Magdeburg auch die neuen Fahrzeuge vom Typ Ulf auf dem Programm.
Samstag, 7. Juni 2014: Tatras in Oradea
Kaum eine Stunde Fahrt sind es aus dem ungarischen Debrecen hinüber ins rumänische Oradea. Ein beträchtlicher Teil der Strecke auf ungarischer Seite ist sogar bereits Autobahn und so liegen die 75 Kilometer durch die sommerlich trockene Agrargegend bis zur Stadtgrenze schnell hinter uns. Aus dem Westen kommend erreichen wir die Straßenbahn von Oradea an der Endschleife Sinteza. Diese Gegend der Stadt ist geprägt von großen, teils verlassenen Industrieanlagen und nur langsam florierenden Gewerbegebieten. Entsprechend wenig los ist auf den hier verkehrenden Linien 1N und 1R, von denen nur wenige Kurse über die Schleife Pod CFR hinaus ins Industriegebiet fahren. Die Buchstaben hinter den Liniennummern verraten bereits eine Besonderheit des Straßenbahnnetztes in Oradea: In der Innenstadt fahren die Linien einen großen Ring. Da die Linien 1 und 3 diesen zwölf Haltestellen zählenden Ring gleichzeitig als große Schleife nutzen, wird den Liniennummern aufgrund der langen Fahrzeit über den Ring, zusätzlich die Richtung, in welche dieser befahren wird beigefügt. Kurse im Uhrzeigersinn erhalten dabei den Buchstaben N, gegen den Uhrzeigersinn den Buchstaben R.
Auch um kurz vor vier brutzelte jetzt im Hochsommer die Sonne noch ordentlich vom Himmel und nachdem wir die einstündige Fahrt die Klimaanlage doch etwas hatten arbeiten lassen, traf uns fast der Schlag, als wir nun hinaus in die Hitze traten und die Schienen an der Schleife Sinteza I betrachteten: Sahen durchaus befahren aus. Hinweise auf etwaige Fahrzeiten waren wie so oft in Rumänien natürlich Fehlanzeige und so stellten wir uns schnell in den Schatten der üppigen Bäume rund um die Schleife mit den direkt angrenzenden und irgendwie recht unbelebt wirkenden Industrieanlagen. Nach einiger Zeit kam dann auch schon einer der 1997 aus Berlin übernommenen KT4D angeschaukelt. 32 dieser unmodernisierten KT4D konnte Oradea aus Berlin übernehmen und so die enorm verschlissenen Timis-Züge außer Dienst stellen. Die Fahrzeuge erhielten die Nummern 200 bis 231. Im Jahr 2019 schließlich sollten die ursprünglichen KT4D durch ebenfalls aus Berlin stammende, modernisierte KT4DM ersetzt werden. Wie in Oradea üblich, wurden die Nummern dabei von den ausscheidenden Wagen auf die in Betrieb genommenen übertragen.
KT4D 217 erreicht als 1R die Endschleife Sinteza im Industriegebiet im Westen von Oradea.
Der ehemalige Berliner 9048 bzw. 219 048, wendet durch die Schleife und macht sich auf den Weg zu einer weiteren Fahrt in die Innenstadt.
So schnell war hier nun kein Wagen mehr zu erwarten. Wir folgten daher der Linie über die Zwischenschleife Pod CFR bis zum Unterzentrum an der Haltestelle Piata Rogerius. Hier war nun auch deutlich mehr Verkehr zu erwarten und in dichten Abständen folgten diverse T4-Züge aus Dresden und Magdeburg.
Von 1994 bis 2010 konnte Oradea insgesamt 76 T4D und 34 B4D aus Magdeburg übernehmen. Bei einem der Fahrzeuge handelte es sich dabei um den Magdeburger 1 1/2-Richtungswagen 1206, welcher über einen rückseitigen Fahrerstand für Hilfspendelbetrieb verfügt. Die unzähligen T4D kamen in kleinen Straßenbahnbetrieb von Oradea nie alle gleichzeitig zum Einsatz, vielmehr lösten die bis 2010 immer wieder aus Magdeburg gelieferten Fahrzeuge laufend die bereits längere Zeit in Oradea eingesetzten Exemplare ab. Dabei wurde die Fahrzeugnummer meist vom ausgemusterten Fahrzeug auf das in Betrieb genommene übertragen, sodass im Laufe der Jahre teils drei verschiedenen T4D dieselbe Nummer trugen.
2002 gelangten auch jeweils zwei erste modernisierte T4DM und B4DM aus Magdeburg nach Oradea. Erst vor einem Jahr folgten 2013 schließlich 18 weitere T4DM und 13 B4DM. Die Fahrzeuge lösten den Großteil der noch verbliebenen, unmodernisierten Magdeburger T4D-Züge ab und wurden so Teils zum dritten Träger der jeweiligen Nummer.
Aus Dresden konnten von 2003 bis 2004 insgesamt sieben modernisierte T4DMS, 4 T4DMI und 25 B4DMS übernommen werden. Die überzähligen Dresdner Beiwagen kommen in Oradea dabei auch mit Magdeburger Triebwagen zum Einsatz.
An der Haltestelle Piata Rogerius war schon deutlich mehr los, diverse Tatra-Gespanne folgten in kurzen Abständen. An seinem großen rechteckigen Zielfilmkasten ist T4DM 2 zweifelsfrei als ehemaliger Magdeburger zu erkennen und kommt mit dem Dresdner B4DMS 102 auf der Linie 1R zum Einsatz. Beim Beiwagen 101 des davonfahrenden Gespannes handelt es sich demgegenüber um einen Magdeburger B4DM, erkennbar neben der Lackierung auch an den senkrecht stehenden Rückleuchten.
Einige Meter weiter begegnet uns neben einer großen Wohnwand der zweifellos als Magdeburger zu erkennende T4DM 13. Anders als es die Lackierung vermuten lässt, handelt es sich beim B4DMS 113 allerdings um einen ehemaligen Dresdner Beiwagen. Die Werkstatt ist bei den Lackierungen rumänientypisch kreativ und nimmt dabei auf die Herkunft der Wagen farblich keine Rücksicht.
Wir fuhren im Anschluss die letzten Meter Richtung Innenstadt und parkten das Auto am Ring. Die verbliebenen Stunden des schöner werdenden Abendlichtes verbrachten wir am großen Ring mit seinen zahlreichen Motiven und dem abwechslungsreichen Fahrzeugeinsatz. Den einzigen Ulf, den wir heute antrafen war der Wagen 50 auf der Linie 1R. Diesem Thema würden wir uns dann morgen nochmal annehmen…
Die Innenstadt von Oradea ist durchaus sehenswert. Zahlreiche Häuserfassaden sind bereits saniert und machen im Kontrast mit teils noch maroder Substanz einen ganz besonderen Reiz aus. Der zentrale Piata Unirii weiß schließlich mit Kirche, Kathedrale und umstehenden sanierten Gebäuden und Jugendstilfassaden durchaus zu beeindrucken.
Die modernisierten Dresdner T4 lassen sich an dem etwas kleineren Zielfilmkasten erkennen. T4DMS 42 überquert den Piata Unirii.
Die enge vom Piata Unirii wegführende Strada Primăriei der Ringstrecke, liegt am Abend im schönsten Licht. Die Linie 2 befährt nur den südlichen Abschnitt des Rings und verfügt daher über keinen Zusatzbuchstaben. Hier kommt der aus Magdeburg stammende T4DM 23 vom Piata Unirii in Richtung Simion Barnutiu II gefahren.
Einige Meter weiter der ebenfalls aus Magdeburg stammende T4DM 20.
Um die nächste Ecke herum wird die Bausubstanz an der Haltestelle Simion Barnutiu allmählich maroder. KT4D 224 hat einige Einkäufer abgesetzt und setzt seine Fahrt auf der Linie 1N fort.
Vom Piata Unirii in entgegengesetzte Richtung erreichen die Bahnen den Piața Emanuil Gojdu. Hier zweigen die Linien 2, 3N und 3R aus dem Ring in Richtung Nufarul aus. An dieser Stelle werden wir morgen früh mal schauen, was am Sonntag so auf Linie läuft.
Montag, 8. Juni 2014: Die Ältesten und Neuesten auf Linie in Oradea
Den Morgen hatten wir heute noch für Oradea Zeit, bevor es am späten Vormittag weiter nach Cluj gehen soll. Ein drängendes Anliegen gab es hier schließlich noch: Die zehn 2008 aus einer Lieferung für Wien abgezweigten Ulf der Wiener Baureihe A1 von Siemens. Bei diesen zehn Fahrzeugen handelt es sich um die ersten 100%-Niederflurstraßenbahnen in Rumänien. Lediglich in Bukarest kamen die Fahrgäste zuvor durch die mit einem Niederflurmittelteil umgebauten V3A und den ersten, zu etwa 70% niederflurigen “Bucur Low Floor Trams”, ebenfalls in den Genuss eines nahezu ebenerdigen Einstieges. Seit diesem Jahr verkehren schließlich auch in Cluj-Napoca die ersten Pesa-Swing Niederflurwagen. An die durchgängig niederflurigen Ulf mit einer Einstiegshöhe von 197mm kommen diese allerdings nicht heran.
Wir stellten uns mal am Piața Emanuil Gojdu auf, verkehren hier doch alle drei Linien uns so würden wir recht schnell mitbekommen, was heute so an Fahrzeugen läuft. Trotz des Sonntages war der Takt recht dicht und neben den drei Ulf 50, 58 und 59, waren sogar noch ein unmodernisierte Magdeburger T4D und ein teilmodernisierter Dresdner T4DMI im Einsatz.
Auf der Flussbrücke beim Piața Emanuil Gojdu gelang die erste Aufnahme eines Ulf’s und meine erste Aufnahme eines Niederflurfahrzeuges in Rumänien. Ulf 59 war heute auf der Linie 1R im Einsatz.
Auf der 3R konnte auf dem Piața Emanuil Gojdu Ulf 58 aufgenommen werden. Wie so oft in Rumänien wurden wir vom Fahrer mit Lichthupe und einem freundlichen Gruß bedacht.
Ulf 59 kehrt wenig später auf dem Ring zurück und hat nun als 1N seine Umfahrungsrichtung geändert.
Auf der Kreuzung der Ringstrecke mit dem Bulevardul Dacia konnte einer der unmodernisierten T4D aus Magdeburg auf der Linie 3R aufgenommen werden. Der 1979 gebaute T4D gelangte als einer der letzten unmodernisierten T4D erst im Jahr 2012 nach Oradea.
Auch auf der Linie 2 lief mit T4DMI 36 einer der verbliebenen nur teilmodernisierten Dresdner T4DMI. Aus Iosia kommend hat er an der Haltestelle Liceul Emanuel soeben den Abzweig auf den Ring in Richtung Piata Unirii genommen. Die teilmodernisierten Dresdner T4DMI lassen sich von den unmodernisierten Magdeburger T4D durch die neuen Lampeneinfassungen unterscheiden.
Zum Abschluss des Besuches in Oradea fuhren wir noch die Strecke der Linien 2 und 3 nach Nufărului im Süden der Stadt entlang. Diese lag ohnehin auf unserem Weg in Richtung Cluj-Napoca und so konnten wir auch noch einen Blick in das unweit der Haltestelle Dimitrie Cantemir gelegene Depoul Salca werfen. Dort standen noch reihenweise T4D und KT4D abgestellt. Wie so oft bei rumänischen Betrieben ist die Betriebsreserve nahezu genauso groß wie der benötigte Fahrzeugauslauf, darüber hinaus dienen zahlreiche Fahrzeuge auch nurmehr als Ersatzteilspender. Noch dazu war heute Sonntag und der Fahrzeugbedarf dadurch ohnehin etwas geringer, wodurch das Depot gut gefüllt war.
Reihenweise bunte T4D und KT4D stehen im Depot Salca abgestellt. Der Kreativität der Werkstatt sind bei den Lackierungen mal wieder keine Grenzen gesetzt…
Auch der Vergleich eines nur teilmodernisierten Dresdner T4DMI und eines modernisierten Magdeburger T4DM bot sich hier an.
Zum Abschluss des Besuches in Oradea wendet mit Ulf 50 als Linie 3R der dritte heute eingesetzte Wagen der Wiener Type A1 in der Endschleife Nufărului.
Damit endete unser Besuch in Oradea und wir traten die rund 160 Kilometer landschaftlich nun durchaus reizvolle Landstraße nach Cluj-Napoca an, womit ich auf dieser Reise meinen zweiten und letzten neuen Straßenbahnbetrieb kennenlernen sollte.